Kleine Anfrage "Nebenkosten in der Lincoln-Siedlung"

Uli Franke
Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung

Vorbemerkung

Das Darmstädter Echo berichtete zu Beginn des Jahres über eine neu gebaute Wohnanlage der Bauverein AG in der Lincoln-Siedlung. Dort fielen im Jahr 2020 enorme Nebenkosten an, die die Vergünstigung der Kaltmiete durch die Wohnraumförderung konterkarieren. Es kommt aktuell zu Nachforderungen, welche die Mieterinnen und Mieter in erhebliche Nöte bringen. Mir liegen mehrere dieser Abrechnungen vor, anhand derer ich die berichteten Probleme nachvollziehen kann. Insbesondere die Kosten für die Fernwärme, für den Aufzug und für die Gebäudeversicherung sprengen offenbar in der gesamten Wohnanlage deutlich den Rahmen des Üblichen.

Die Bauverein AG wird nicht selten dafür kritisiert, dass sie sich zu wenig bemühe, die „zweite Miete“ niedrig zu halten. Diese Kritik betrifft regelmäßig die Fernwärme und die Gebäudeversicherung. Insofern steht der konkrete Fall, der alleine schon knapp 150 Haushalte betrifft, möglicherweise exemplarisch für ähnliche Missstände im gesamten Bestand unseres städtischen Wohnungsunternehmens. Dementsprechend stammen die aufgeführten Zahlen im Wesentlichen aus der Gesamtabrechnung der Wohnanlage und nicht aus einer individuellen Betriebskostenabrechnung.

Mit den folgenden Fragen an den Magistrat geht es mir somit nicht um die Bearbeitung eines spezifischen Konflikts um die Nebenkosten, sondern um Hinweise auf strukturelle Fehlentwicklungen. Diese anzusprechen und gemeinsam mit der Bauverein AG abzustellen ist aus meiner Sicht eine Aufgabe des Magistrats.

 

Vor diesem Hintergrund stelle ich die folgenden Fragen:

1. Fernwärme

a) In welcher Anlage, mit welcher Technologie und mit welchem Brennstoff wird die Fernwärme für die Lincoln-Siedlung produziert? Wird dabei neben Wärme auch Strom erzeugt? Wenn ja, wie hoch ist die jährliche Stromproduktion?

b) Wurde diese Anlage im Zuge der Konversion der Siedlung erneuert, wenn ja, in welchem Umfang? Entspricht sie dem aktuellen Stand der Technik?

c) Die Lieferung der Fernwärme für die gesamte Wohnanlage (143 Einheiten) in der Einsteinstraße erfolgt laut Betriebskostenabrechnung zum Preis von 13,6 ct/kWh (134.009 € für 987.930 kWh), wobei nicht zwischen Grund- und Arbeitspreis unterschieden wird.

Ergibt sich dieser Lieferpreis aus den Investitions-, Brennstoff- und Betriebskosten des in (a) benannten Kraftwerks, durch das in Magistratsvorlage 2013/0048 festgelegte Preismodell des städtischen Fernwärmeliefervertrags oder aus einer anderen Regelung für den Fernwärmepreis?

d) Falls nach dem Fernwärmeliefervertrag abgerechnet wird: Wie hoch ist die installierte Anschlussleistung für die Wohnanlage, auf deren Grundlage der Grundpreis für die Energielieferung berechnet wird?

e) Wo befindet sich der Übergabepunkt bzw. befinden sich die Übergabepunkte für die in (c) benannte Wärmemenge?

f) Die in den 143 Wohnungen insgesamt verbrauchte nutzbare Wärmemenge beträgt laut Betriebskostenabrechnung nur 647.858 kWh.

Wodurch ergibt sich die Verminderung um ca. 35% von der am Übergabepunkt angelieferten gegenüber der in den Wohnungen nutzbaren Wärmemenge?

g) Durch Hinzurechnung der in den Gebäuden entstehenden Heizungsbetriebskosten (Strom und Ablesung) erhöht sich der in (b) genannte Preis für die Fernwärmelieferung auf 153.740€. Bezogen auf die in (f) genannte nutzbare Wärmemenge von 647.858 kWh ergibt sich ein durchschnittlicher Preis von 23,7 ct für eine Kilowattstunde Fernwärme. Für den einzelnen Haushalt variiert der tatsächliche Preis noch in Abhängigkeit vom Verbrauch. Mir liegt die individuelle Abrechnung eines Haushalts mit Wärmekosten von 24,1 ct/kWh vor.

Im entega-Tarif Ökogas maxi kostete der Brennstoff Erdgas im Abrechnungszeitraum 5,6 ct bei einem Grundpreis von 180 €. Bei einem haushaltsüblichen Verbrauch von 8.000 kWh/Jahr wird die Primärenergie demnach für 7,9 ct/kWh geliefert. Bei einer Etagen-Gastherme mit dem eher niedrigen Wirkungsgrad von 70% ergibt sich daraus ein Preis von etwa 11 ct/kWh für die nutzbare Wärme. Somit entstehen den Haushalten in der Einsteinstraße durch die Verwendung von Fernwärme ungefähr die doppelten Heizkosten gegenüber der Heizung mit einer nicht einmal besonders effizienten Gastherme.

Ist eine solche Differenz zu den in Darmstadt üblichen Wärmekosten aus Sicht des Magistrats vertretbar für Haushalte, die dem Anschlusszwang unterliegen? Falls nicht, welche Gegenmaßnahmen zieht er dann in Betracht?

h) Hat der Magistrat Kenntnis, dass gemäß dem Preismodell für die Fernwärmelieferung angesichts der stark gestiegenen Gaspreise der Fernwärmepreis angehoben werden soll? Wenn ja, in welchem Ausmaß?

2. Gebäudeversicherung

Die Gebäudeversicherung schlägt in der gesamten Wohnanlage mit monatlich 0,54€/qm zu Buche (64.185€/9.848qm). Der aktuellsteBetriebskostenspiegel des Mieterbunds hat für diesen Posten einen Durchschnittswert von 0,21€/qm ermittelt. Dazu passend zahlt der Fragesteller selbst in einem Etagenwohnhaus in Bessungen für eine vor wenigen Jahren auf Angemessenheit überprüfte Gebäudeversicherung 0,26€/qm.

a) Aus welchem Grund ist die Gebäudeversicherung in der Einsteinstraße doppelt so teuer wie eine übliche derartige Versicherung?

b) Welche Risiken versichert die Bauverein AG durch Abschluss von Gebäudeversicherungen?

c) Hält der Magistrat unabhängig von der Gesetzeslage die Praxis der Bauverein AG für legitim, Risiken durch Elementarschäden, Rohrbrüche, Feuer u.ä., die statistisch in vielen Fällen nicht durch Mieterinnen und Mieter verursacht werden, dennoch vollständig auf Kosten der Mieterinnen und Mieter zu versichern?

3. Aufzug

Die Kosten für den Aufzug in der Einsteinstraße belaufen sich auf monatlich 36 ct/qm (ohne Stromkosten). Dabei teilen sich 143 Wohneinheiten Kosten in Höhe von 43.000 Euro. Der Betriebskostenspiegel des Mieterbunds benennt einen Durchschnitt von 19 ct/qm, das Beratungsportal mieterengel.de kommt diesbezüglich auf 16 ct/qm.

a) Wie viele Aufzüge bedienen die 143 Wohnungen in der Wohnanlage?

b) Aus welchem Grund liegen die umgelegten Kosten für die Aufzüge so weit oberhalb des Üblichen?

c) Wurde für die Aufzüge der Wohnanlage ein Vollwartungsvertrag abgeschlossen? Wenn ja, welcher Anteil wird auf die Miete umgelegt und welcher Anteil wird von der Bauverein AG getragen?

4. Gesamte Betriebskosten

Laut dem bereits zitierten Betriebskostenspiegel des Mieterbunds (Datenerfassung 2018/2019) betragen die durchschnittlichen monatlichen Betriebskosten 2,43 €/qm, unter Betrachtung „aller denkbaren Betriebskostenarten“ ergibt sich ein Wert von 3,08 €/qm. In der Einsteinstraße beliefen sich die Nebenkosten im Jahr 2020 laut der mir vorliegenden individuellen Betriebskostenabrechnung jedoch auf den enormen Betrag von 4,50 €/qm (4.400 € in einer 82qm-Wohnung mit relativ niedrigem Wärmeverbrauch von 5.200 kWh). Ohne Heizung und Warmwasser verbleiben immer noch Nebenkosten von 3,23 €/qm.

a) Worin liegen aus Sicht des Magistrats die Ursachen für diese – trotz guter energetischer Qualität des Gebäudes – enorm hohen Nebenkosten?

b) Die Stadt leistet erhebliche Zuschüsse, um die Mietpreise geförderter Wohnungen gegenüber den Förderungsrichtlinien des Landes noch weiter abzusenken. Im Förderweg für mittlere Einkommen in Darmstadt wird dadurch die maximale Kaltmiete auf 8,10 €/qm begrenzt. Bei den genannten Nebenkosten ergibt sich eine Warmmiete von ca. 12,50 €/qm.

Sieht der Magistrat die Gefahr, dass unter solchen Rahmenbedingungen der 2. Förderweg bzw. die Wohnraumförderung überhaupt seine Zielgruppe – also Haushalte mit einem Einkommen von 20% oberhalb der Grenze für Sozialwohnungsberechtigung – nicht mehr erreicht?