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Pressemitteilung "Restmittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket direkt auszahlen!"


Offener Brief an Sozialdezernentin Barbara Akdeniz zur Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Darmstadt

Sehr geehrte Frau Akdeniz,

1,6 Millionen Euro hat die Wissenschaftsstadt Darmstadt im Jahr 2011 vom Bund erhalten, um es im Rahmen des sogenannten "Bildungs- und Teilhabepaketes" (BuT) an rund 7.000 berechtigte Darmstädter Kinder und Jugendliche weiterzugeben. Doch nur 456.534 Euro - also nicht einmal ein Drittel des Geldes - sind tatsächlich als "Hilfeleistungen" bei den Kindern und Jugendlichen angekommen. Dies erklärten Sie auf unsere Kleine Anfrage Anfang Mai.

Der größte Teil der Gelder des BuT sind also nicht bei den Betroffenen angekommen, sondern "in die Gesamtdeckung des Haushaltes des Sozialdezernates" und damit in den Stadtsäckel geflossen. Der Clou dabei: Das nicht ausgegebene Geld - immerhin eine runde Million Euro - muss die Stadt nicht an den Bund zurückzahlen.

Damit dieses Geld nun doch noch dort ankommt, wo es hin soll, und nicht klammheimlich zur Gesamtdeckung von Haushaltslöchern missbraucht wird, fordern wir Sie und die Verantwortlichen der Wissenschaftsstadt Darmstadt auf, jedem der rund 7.000 berechtigten Darmstädter Kinder und Jugendlichen einen einmaligen Betrag von 150 Euro direkt und unbürokratisch auszuzahlen.

Dies dürfte auch rechtlich möglich sein, denn die Ausgabe der aus 2011 übriggebliebenen 1.143.446 Euro ist nicht mehr an die gesetzlichen Vorgaben des Bildungs- und Teilhabepaketes gebunden.

In der Hoffnung auf eine baldige positive Antwort verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

Martina Hübscher-Paul
Natalie Krieger
Karl-Heinz Böck

 


 

Antwort von Stadträtin Barbara Akdeniz

 

Offene Antwort auf Ihren Offenen Brief zur Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes vom 22.05.2012

 

Sehr geehrte Frau Hübscher-Paul, sehr geehrte Frau Krieger, sehr geehrter Herr Böck,

Ihren Offenen Brief und Ihre darin formulierte Forderung beantworte ich gerne.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Darmstadt mit großem Engagement der Beschäftigten und aller Beteiligter vorangetrieben wurde. Neben allgemeinen Informationsveranstaltungen, individuellen Informationsanschreiben an alle Leistungsberechtigten und Entwicklung von mehrsprachigen Flyern wurde in vielen Einzel- und Fachgesprächen mit Leistungserbringern versucht, einen gangbaren und möglichst unbürokratischen Weg zu finden. Dies ist aufgrund der Struktur und Organisation des Bildungs- und Teilhabepaketes bundesweit - nicht nur in Darmstadt - eine große Herausforderung, die nicht in allen Bereichen von Anfang an gelingen kann.

So konnten, wie in meiner Antwort auf Ihre Kleine Anfrage vom 23.04.2012 aufgeführt, in 2011 insgesamt 456.534,00 Euro ausgezahlt werden, etwa 175.000 Euro wurden hingegen für Personal- und Verwaltungskosten benötigt. Ich bin mir sicher, dass Darmstadt sowohl bei der Zahl der Anträge, als auch bei den verausgabten Mitteln im guten Bundesdurchschnitt liegt. Damit wird aber auch deutlich, dass das Teilhabepaket nicht den prognostizierten Erfolg aufweist, wie dies vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales intendiert war und ist.

Sie wissen selbst, dass das Bildungs- und Teilhabepaket als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 zurückgeht, mit dem das Gericht die Berechnung der Regelsätze beim Arbeitslosengeld II und beim Sozialgeld für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres für verfassungswidrig erklärte und den Gesetzgeber aufforderte, eine transparente, auf sachlicher Grundlage beruhende Neubemessung der Regelleistungen zu schaffen, die alle Leistungen abdeckt, die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend notwendig sind. Es liegen auf Bundesebene verschiedenste politische Modelle zur Verhinderung von Kinderarmut vor, von der (bedingungslosen) Grundsicherung für Kinder über die Forderungen (auch Ihrer Partei) zur Erhöhung des Regelsatzes, um die realen Bedarfe zur Existenz- und Teilhabesicherung von Kindern abzudecken. Die schwarz-gelbe Bundesregierung entschied sich zu Beginn des Jahres 2011 dazu, den individuellen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen in Form von Sach- und Dienstleistungen zu erbringen. Veränderungen können also definitiv nur auf Bundesebene geregelt werden.

Eine Kompensation dieser gesetzlichen Regelungen auf kommunaler Ebene, so wie Sie dies in Ihrem offenen Brief vorschlagen, ist nicht möglich, da hierfür die gesetzliche Grundlage fehlt. Darüber hinaus ist eine "kommunale Lösung von individueller Regelsatzerhöhung" weder nachhaltig noch entspricht sie unserem Ansatz, über strukturelle Maßnahmen Bildungs- und Teilhabegerechtigkeit zu garantieren.

Hier komme ich zu einem zentralen Punkt. Die Darmstädter Sozialpolitik arbeitet anhand der drei Prämissen Prävention, Partizipation und Sozialraumorientierung und stellt dabei Teilhabe- und Chancengerechtigkeit sowie Lebensweltorientierung in den Mittelpunkt.

Unsere Sozialpolitik setzt also auf die kontinuierliche Verbesserung struktureller Rahmenbedingungen, um Armut und sozialer Ausgrenzung entgegen zu wirken. Der städtische Sozialetat ist insgesamt in den letzten Jahren stetig gewachsen, die soziale Infrastruktur ist stabil und wird - wo nötig - sogar dezidiert ausgebaut, insbesondere in den Bereichen, die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen fördern.

Der partiell erhobene Vorwurf, der größte Teil der Gelder des BuT würde nicht den Betroffenen zu Gute kommen, sondern in den "Stadtsäckel" fließen, um klammheimlich Haushaltslöcher zu schließen, weise ich deshalb strikt zurück.

Folgende Beispiele nenne ich Ihnen exemplarisch:

  1. Für den Ausbau der Kinderbetreuung - und damit für Orte nachhaltigen Lernens und sozialer Entwicklung für Kinder - stehen 5 Millionen Euro aus dem Sofortfonds sowie die zusätzlichen Mittel für Betriebskosten für die neu geschaffenen Plätze zur Verfügung. Seit Juli 2011 wurden bereits 276 neue Plätze in Betrieb genommen, aktuell arbeiten wir an der Umsetzung von rund 75  Plätzen im U3- und Kindergartenbereich. Hier ist also mit einem ständigen Anstieg der zur Verfügung stehenden Mittel zu rechnen. Für den Bereich Kinderbetreuung inkl. Leistungen der Hilfe zur Erziehung und Kindertagespflege investieren wir zur Zeit 43,1 Millionen Euro.
  2. Für die offene Kinder- und Jugendarbeit - also für sozial- und freizeitpädagogische Anlauf- und Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche mit besonderem Fokus für sozial Benachteiligte (städtische und unter freier Trägerschaft stehende Kinder- und Jugendhäuser) stehen in 2012 rund 3,1 Millionen Euro zur Verfügung.
  3. Für Ferien- und Freizeitangebote stellt die Wissenschaftsstadt Darmstadt jährlich einen Betrag in Höhe von rund 380.000 Euro zur Verfügung.
  4. Für niedrigschwellige Hausaufgabenhilfe/Hausaufgabenbetreuung ist ein Betrag von über 100.000 Euro jährlich vorgesehen.
  5. Mit der Umsetzung der drei Ausbaustufen sozialraumorientierter Schulsozialarbeit wird sich die Zuschusssumme vom Jahr 2010 (824.870 Euro) bis 2013 auf 1.368.625 Euro erhöhen.

Ich erspare mir jetzt die Addition dieser Summen, denn es handelt sich, wie bereits erwähnt, um Beispiele, die ich noch umfangreich fortführen könnte.

Wichtig ist mir vielmehr, Ihnen damit deutlich zu machen, dass wir in Darmstadt trotz anhaltender Haushaltskonsolidierungsvorgaben ausdrücklich eine moderne, zukunftsweisende und nachhaltige Sozial- und Jugendpolitik umsetzen, die bedarfsgerecht und sinnvoll gesteuert gerade Kinder und Jugendliche aus einkommensarmen Familien unterstützt.

Wie ich den Grundsätzen Ihrer Bundespolitik entnehme, vertreten auch Sie den Ansatz, die öffentliche Infrastruktur auszubauen und damit die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe flächendeckend zur Verfügung zu stellen.

Als zuständige Sozial- und Jugenddezernentin arbeite ich, gemeinsam mit dem Oberbürgermeister, den Magistratskolleginnen und -kollegen und der Koalition, weiter an dieser großen und wichtigen Aufgabe und wünsche mir dabei von allen politischen Fraktionen größtmögliche Unterstützung.

Gemeinsam wird es uns auch in Zukunft noch besser gelingen, Darmstadt sozial, kinder- und familienfreundlich zu gestalten.

Mit freundlichen Grüßen

Barbara Akdeniz
Stadträtin

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