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Die nachfolgende Generation scheute die Kritik an den Lehrmeistern

Offener Brief an die Anglistin Dr. Ulrike Erichsen, TU Darmstadt, anlässlich ihres Vortrags über "Literaturwissenschaften nach 1933," gehalten im Rahmen einer TUD-Ringvorlesung

von

Fred Kautz

"Nicht aufgrund der von ihnen betriebenen Wissenschaft, sondern ausschließlich aus rassistischen oder politischen Gründen wurden Anglisten und Romanisten verfolgt." Dieses Fazit zog Dr. Ulrike Erichsen am Montagabend in ihrem Rückblick auf die Entwicklung der beiden neuphilologischen Fachbereiche an deutschen Universitäten während der Zeit des Nationalsozialismus. [...] Nach dem Krieg wurden nur wenige der Verfolgten rehabilitiert. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit kam nur zögerlich voran: Zu viele Fachvertreter standen dem nationalsozialistischen Regime zu nahe, so dass ein Neuanfang nicht möglich war. Und die nachfolgende Generation scheute die Kritik an ihren Lehrmeistern.

Darmstädter Echo, 4. Feb. 2004, S. 14.

Sehr geehrte Frau Dr. Erichsen, das Darmstädter Echo vom 4.02.2004 berichtete von Ihrem Vortrag über den "Niedergang der Philologie in der Zeit des Nationalsozialismus," den Sie im Rahmen einer TUD-Ringvorlesung gehalten haben. Der Artikel schließt mit der Feststellung:

Zu viele Fachvertreter standen dem nationalsozialistischen Regime zu nahe, so dass ein Neuanfang nicht möglich war. Und die nachfolgende Generation scheute die Kritik an ihren Lehrmeistern.(1)

Als ich das las, nickte ich zustimmend mit dem Kopf und murmelte: "How true, how true! Hoffentlich wird die Einsicht Früchte tragen."

Ihre Beobachtung, "die nachfolgende Generation scheute die Kritik an ihren Lehrmeistern," sollte - was, wie ich hoffe, Ihnen klar ist - den Anstoß zu einer ernsthaften Selbstbefragung an der Universität geben. Die jüngste Aufdeckung, die zeigt, dass der renommierte deutsche Historiker Fritz Fischer (1908-1999), der mit seinem provokativen Buch Griff nach der Weltmacht (1961) die erste große Historiker-Debatte in der Bundesrepublik auslöste, ein Nazi war(2), müsste eigentlich das Selbstverständnis der gesamten Fakultät erschüttern. Helmut Böhme, der langjährige Präsident der TU Darmstadt, der die Ringvorlesung mit der Diagnose eröffnete, die Hochschule sei "keine abgeschottete Insel im braunen Meer" gewesen(3), sitzt eben auch nicht auf einer unberührten "seligen Insel", auf der es nur unkontaminierte Erkenntnisinteressen gibt. Als Musterschüler von Fritz Fischer betrachtete er sich stets als Hüter des Erbes von seinem Doktorvater, so dass er - wie nahezu die gesamte von Ihnen angeklagte Generation - leider auch "die Kritik an [seinem] Lehrmeister" scheute. Wenn, das was Sie in Ihrem Vortrag sagten, nicht ins Leere verlaufen soll, muss die Technische Universität Darmstadt darauf bestehen, dass ihr langjähriger Präsident Helmut Böhme sich öffentlich zur NS-Vergangenheit seines Lehrmeisters äußert.

Böhme ist nicht der erste Zögling, der von der NS-Vergangenheit seines Mentors eingeholt wird. 1992 klopfte sie unter anderem bei Hans-Ulrich Wehler an. Damals hatten Angelika Ebbinghaus und Karl Heinz Roth ein bevölkerungspolitisches Geheimgutachten ediert, das Wehlers Lehrmeister Theodor Schieder Ende September/Anfang Oktober 1939 ausgearbeitet und in dem er "eine Bevölkerungsverschiebung allergrößten Ausmaßes", sowie "die Entjudung Restpolens" gefordert hatte.(4) Schieders sonst so streitbarer Schüler nahm die Dokumentation damals pikiert zur Kenntnis, ließ hochtrabend vernehmen, da müssten "richtige Historiker ran", und schwieg - bis zum Historikertag im September 1998, wo - zur Rede gestellt - er kleinlaut beigab, "neue Funde" hätten ihn nachdenklich gemacht.(5) Neu waren nicht die Dokumente, neu war der auf ihn ausgeübte Druck, sich ihnen zu stellen.

Das gleiche gilt wohl auch für den Fall Fritz Fischer. Spätestens Mitte der sechziger Jahre müsste der Fischer-Schüler Helmut Böhme von der Ahnung beschlichen worden sein, dass es bei seinem Lehrmeister eine, nach Aufklärung verlangende braune Vergangenheit gibt. Denn als professioneller Historiker, der sich, was den Stand der Forschung anbelangt, auf dem Laufenden zu halten sucht, wird er aus dem 1966 erschienenen informativen Werk von Helmut Heiber Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt) erfahren haben, dass sein Lehrer Fritz Fischer sich seinerzeit bei dem NS-Chefhistoriker Walter Frank lieb Kind gemacht hatte, was ihm ein Stipendium des Reichsinstituts einbrachte.(6) "Aber", wie Böhme in seinem jüngsten Aufsatz zur Fischer-Kontroverse sowohl in Bezug auf Fritz Fischers Thesen, die eigentlich nicht so neu waren, als auch in Bezug auf die Rolle und Funktion in der NS-Zeit junger, keineswegs unaktiver späterer Großhistoriker hinter vorgehaltener Hand raunt: "Man wollte sich offenbar nicht dessen bewusst werden, was man wusste, oder man wollte nicht wissen, was man wusste."(7)

Ja, "man" wollte nicht wissen, was "man" über die teils tiefbraune Vergangenheit der eigenen Lehrmeister wusste. "Man", wer könnte das sein? Gestatten Sie mir, die Dinge einmal beim richtigen Namen zu nennen, zu sagen, wer mit dem Allerweltswörtchen "man" gemeint ist. "Man", das sind u.a. Schüler von Fritz Fischer, die es zu etwas gebracht haben, z.B. Helmut Böhme (*1936), Professor für Geschichte und Präsident der Technischen Hochschule Darmstadt; Imanuel Geiss (*1931), Professor für Geschichte an der Universität Hamburg; Berndt Jürgen Wendt (*1934), nach Zwischenstation in Kassel Fischers Nachfolger auf dem Hamburger Lehrstuhl; sowie Peter-Christian Witt (*1943), damals Fellow am St. Anthony’s College/Oxford, danach - wenn ich recht informiert bin - Professor für Geschichte in Oxford und Kassel und dazu Vertrauensdozent der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie zählten zu den Gratulanten, die ehrerbietig Beiträge für die Fritz Fischer zum 65. Geburtstag gewidmete Festschrift lieferten. (8)

Obwohl der von Imanuel Geiss und Bernd Jürgen Wendt, den Herausgebern der Festschrift, verfasste Lebenslauf von Fischer in Form einer akademischen Hagiographie abgefasst ist, enthält er doch Anhaltspunkte genug, die sie hätten stutzig machen sollen. Er erwähnt u.a., dass Fischer ab 1927 bei dem Kirchenhistoriker Erich Seeberg studierte. In dem von Kurt Galling herausgegebenen Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (1961)(9), das in jeder anständigen Hochschulbibliothek auf dem Regal steht, ist über Erich Seeberg nachzulesen: "Seine kirchenpolitische Haltung näherte sich zeitweise deutsch-christlichen und nationalsozialistischen Bestrebungen." Was ein richtiger Historiker ist, den müsste ein solcher Hinweis anstacheln, weiterzuforschen.

Ich machte mich kundig, was Erich Seeberg so geschrieben hatte und stieß dabei auf ein kleines Buch über den mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart(10), das eine scharfe Kontroverse entfachte. Nachzulesen ist das u.a. in den Nationalsozialistischen Monatsheften. "Im Interesse weltanschaulicher Sauberkeit und um der Ehre deutscher wissenschaftlicher Forschung willen" hatte diese "zentrale [...] Zeitschrift der N.S.D.A.P." Seeberg Raum gegeben, um gegen seinen Rivalen, den "jüdischen Dr. Klimbansky" die "Sau rauszulassen", wovon Seeberg schamlos Gebrauch machte. Er verübelte es dem vormals in Heidelberg lehrenden Philologen, dem "auf Grund des § 4" des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" "die Erlaubnis, Vorlesungen zu halten, entzogen worden [war]," dass er nun "seine dank der deutschen Finanzierung erworbenen Kenntnisse" an der Universität Oxford benutzte, "um in Gemeinschaft mit anderen Gelehrten eine neue Ausgabe der lateinischen Werke Eckharts ins Leben zu rufen". Das - so die NS-Monatshefte - liefere den Neider im Ausland den willkommenen Grund dafür, das Gerücht in die Welt zu setzen, "nur aus Antisemitismus mach[t]en die Deutschen eine Eckhartausgabe". Laut Alfred Rosenbergs Postille war das - wie sich versteht - eine böswillige Unterstellung. Seeberg hatte mit der Herausgabe seiner späteren Eckhart-Ausgabe lediglich "einer wissenschaftlichen und völkischen Pflicht" Genüge getan. "Nichts mehr!"(11)

Wer sich im Hinblick auf solch ernüchternde Information noch nicht ans Berlin Document Center wendet, um weitere Auskunft über Erich Seeberg zu bekommen, hat zu Fritz Fischers akademischem Werdegang eigentlich nichts Nützliches mehr zu sagen. Vom BDC wäre herauszubekommen gewesen, dass Erich Seeberg am 1. Mai 1933 der NSDAP beitrat, für die er sich als Propagandist betätigte. Und wen das Jagdfieber hier erfasst hätte, der wäre "auf den Wegen der Forschung" auch auf Fritz Fischers kirchenpolitische Position im Kirchenkampf gestoßen. In der Kirchenzeitung der evangelischen Nationalsozialisten stellte sich Fischer zusammen mit anderen Kollegen der Theologischen Fakultät Berlin dezidiert hinter seinen Lehrer Erich Seeberg, der gegen Widerstreben die Fakultät zur Annahme einer positiven gutachterlichen Stellungnahme seines Vaters, des renommierten Systematikers Reinhold Seeberg, zum sogenannten Arierparagraphen veranlasst hatte.(12)

Ein strebsamer Nachwuchswissenschaftler wie Fritz Fischer, der eine derart fragwürdige kirchenpolitische Position einnahm und der zu dem Nazi-Theologen Erich Seeberg in einem Schülerverhältnis stand und über diesen auch noch im Dunstkreis des sozialkonservativen Systematikers Reinhold Seeberg, der kann sich damals gar nicht wissenschaftlich mit der "protestantisch-religiöse[n] Grundhaltung [...] in ihrer Einwirkung auf das konstitutionelle Denken" beschäftigt haben, wie Geiss und Wendt sich und anderen einzureden versuchen. Sollte das jedoch der Fall gewesen sein, wäre Fischer nie und nimmer für ein Stipendium des "Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands" in Frage gekommen. Doch ohne Argwohn berichten Geiss und Wendt weiter, das "Reichsinstitut" habe Fischer das Stipendium gewährt, um ihm "die Möglichkeit [zu] bieten, unbelastet von Lehrverpflichtungen [...] die Rolle des Protestantismus und der Amtskirche im politischen und sozialen Leben Deutschlands im 19. Jahrhundert eingehender zu klären."(13) Was geklärt werden sollte, war, warum die politische Ethik des Luthertums hinter den Anforderungen einer völkischen Erhebung zurückgeblieben war. Als Ursache wollte Fischer die lutherische Orientierung an "einem naturrechtlich-moralischen Rechtsbegriff und pietistisch-humanitärer Liebesethik" ausweisen.(14)

Natürlich hätten Böhme, Geiss, Witt und wie die Zöglinge von Fischer alle heißen, das nicht im Detail wissen können, aber sie hätten erahnen müssen, dass das von Walter Franks "Reichsinstitut" abgesegnete Forschungsprojekt ihres Lehrmeisters eine derartige Stoßrichtung gehabt haben muss. Doch statt dessen zogen sie es vor, sich von der Lobhudelei, wie sie in Festschriften üblich ist, einlullen zu lassen: "prägende Eindrücke einer süddeutschen-föderalistischen Kulturwelt" hätten im Lehrmeister "ein nie überwundenes und tiefverwurzeltes Misstrauen gegenüber [...] [der] borussischen Tradition entstehen lassen"(15) (S. 10-11) und so weiter und so weiter.

Auch das Gerücht, Fritz Fischer sei ein berüchtigter Nazi gewesen, das sein erbitterter Feind Gerhard Ritter während der Kontroverse um das Buch Griff nach der Weltmacht verbreitet hatte, war von Fischers Bewunderern lediglich als üble Nachrede bewertet worden. Jetzt ist der Berliner Historiker Klaus Grosse Kracht dem Gerücht nachgegangen. Das Ergebnis seiner Recherchen, das er der Community of Scholars vorlegt, ist niederschmetternd. Gespannt warte ich auf eine Stellungnahme Helmut Böhmes. Wird er, nachdem er sich bereits 38 Jahre Zeit genommen hat, gleich dem Kollegen Wehler, sich noch einmal sechs Jahre Zeit nehmen, bevor er sich zur braunen Vergangenheit seines Lehrmeisters äußert? Ob er sich das leisten kann, hängt davon ab, ob das Professorat und die Studentenschaft der TUD solch ein beredsames Schweigen kommentarlos hinnehmen werden. Wenn ihr Vortrag ein Aufruf ist, Kritik an den Lehrmeistern zu üben, und der Aufruf befolgt wird, muss der langjährige Präsident Helmut Böhme sich wohl oder übel zu Fritz Fischers unheilvoller Kumpanei mit dem Nazi-Chefhistoriker Walter Frank, zu seinem Beitritt in die SA im Jahre 1933 und in die NSDAP im Jahre 1937 äußern, sowie über dessen großes Verlangen danach, als er 1939 zum Kriegsdienst eingezogen wurde, antisemitische "Vorträge vor den Batterien" halten zu dürfen.(16)

Ferner, wenn Ihr Vortrag mehr sein soll als das Wort zum Sonntag, muss auch die enigmatische Verbindung zwischen der Technischen Universität Darmstadt und einem anderen Gelehrten dringend geklärt werden. Ich spreche über den Hamburger Philologen Ulrich Pretzel, dessen Teilnachlass sich im Besitz dieser Universität befindet. Während seines Studiums bei Fritz Fischer muss Helmut Böhme nebenbei auch im "Germanischen und Literaturwissenschaftlichen Seminar" von Ulrich Pretzel gehört haben. Als nach Pretzels Tod im Jahre 1981 dessen umfangreiche private Gelehrtenbibliothek zum Verkauf angeboten wurde, griff die Technische Hochschule Darmstadt sogleich zu oder besser gesagt, der TUD-Präsident Helmut Böhme griff im Namen der Hochschule zu. Folglich gibt es in dem neuen Internationalen Germanistenlexikon(17) im Biogramm von Ulrich Pretzel unter der Rubrik "Ausgewählte Bestände" einen Hinweis auf die TUD, der da lautet:

Hess. Landes- und Hochschulbibl. und TH Darmstadt, Teilnachl.: wiss. Bibl., ca. 57000 Bde. (Ankauf 1983, Teilerschließung 1984/89, Wasserschäden 1990/95, Aufstellung im Schloß 1997, jedoch nicht öffentlich zugänglich).

Dass die Bestände so verwahrlost sind (Wasserschäden usw.), wie im Germanistenlexikon angedeutet, dem kann ich nur beipflichten. Denn seinerzeit war ich eine der mit Zeitverträgen abgespeisten bibliothekarischen Hilfskräfte, die zur Erschließung und Katalogisierung der Bücher und Materialien eingesetzt wurden. Die zunehmende Verwahrlosung dieser wissenschaftlichen Kleinode hat damit zu tun, dass die "Pretzel-Bibliothek" von Anfang an ein politischer Zankapfel an der Hochschule war. Präsident Böhme hatte sie eigenmächtig der Universitätsbibliothek Oldenburg und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vor der Nase weggeschnappt, ohne den Ankauf von zuständigen Gremien abgesegnet zu bekommen. Die Hochschule, will sagen die Dekane und sonstige Interessenten, die ein Hühnchen mit dem Präsidenten zu rupfen hatten, rächten sich dafür, indem sie angemessene Mittel für die Erschließung, Katalogisierung und Aufstellung der Bibliothek blockierten. Die Bücher vermoderten in Kartons, welche in Lagerhallen mit Dachschäden aufeinandergestapelt waren, wo der größte Teil wohl bis auf den heutigen Tag auf Erschließung wartet. Fazit, alles für die Katz", eine halbe Million DM aus Steuermitteln zum Fenster hinausgeworfen, nur um zu gewährleisten, das ein für die literaturwissenschaftliche und historische Forschung unersetzbarer Gelehrtennachlass vergammelt. Derweilen veranstalten diejenigen, die das auf dem Kerbholz haben, Ringvorlesungen über "Verantwortung in der Wissenschaft."(18)

Doch was hat all das mit der Nazi-Vergangenheit und deren Aufarbeitung zu tun? Sehr viel! Ulrich Pretzel war eine "graue Eminenz", die nach 1945 still und leise daran arbeitete, die politische Säuberung des deutschen Wissenschaftsbetriebs zu sabotieren. Sein "Germanisches Literaturwissenschaftliches Seminar" an der Universität Hamburg war Knotenpunkt in einem Netzwerk alter Kameraden (in diesem Zusammenhang sagt man wohl besser alter Kollegen), die belasteten nationalsozialistischen Akademikern half, an den Universitäten wieder Fuß zu fassen. Sicherlich haben Sie von der wundersam grotesken Karriere des Verwandlungskünstlers Schneider/Schwerte gehört, von jenem flexiblen, anpassungsfähigen deutschen Akademiker, der sein Fähnlein immer nach dem Wind hängte, der in "jenen Jahren" als strebsamer Nachwuchswissenschaftler sich gerade dort immatrikulierte, wo der Puls der Zeit zu spüren war, an der NS-Grenzlandsuniversität Königsberg, wo er sich dem völkischen Literaturpapst Josef Nadler mit einer Dissertation über Turgenjev andiente. Während des Krieges wurde der promovierte Germanist, der damals noch Hans Ernst Schneider hieß, Leiter des "Germanischen Wissenschaftseinsatzes" im Nazi-besetzten Europa. Die Krönung seiner Karriere im "Tausendjährigen Reich" war seine Zuteilung zum persönlichen Stab des Reichsführers SS, der so gnädig war, ihn zum SS-Hauptsturmführer zu befördern. In seiner zweiten Bilderbuchkarriere stieg er unter seinem neuen Namen Hans Werner Schwerte auf bis zum Rektor der TH Aachen. Ob seiner diesmaligen Verdienste wurde ihm das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Sprungbrett zu seiner zweiten Karriere war das "Germanische Literaturwissenschaftliche Seminar" von Ulrich Pretzel. Ich zitiere aus dem neuen Germanistenlexikon: "Studium 2. - Germanistik: Hamburg (WS 1945/46 [Gasthörer] - SS 1946, bei L. Landgrabe (Philosophie), W. Niekerken, U. Pretzel." Ich halte es für ausgeschlossen, dass der als Student Hans Werner Schwerte wiedergeborene SS-Hauptsturmführer Hamburg rein zufällig als Studienort auserkor und dass er sich gerade auf gut Glück in Pretzels Seminar setzte. Ich berufe mich dabei auf den US-amerikanischen Romanisten Earl Jeffrey Richards, der bereits 1992 dem Simon-Wiesenthal-Dokumentationszentrum Erkenntnisse mitteilte, die belegten, dass der ehemalige Rektor der TH Aachen, Prof. Dr. Hans Werner Schwerte, identisch war mit dem SS-Offizier Dr. Hans Ernst Schneider. 1998 schrieb Richards in einer vorläufigen Bilanz des Skandals:

Den Ordinarius in Hamburg dürfte Dr. Schneider bereits gekannt haben: Prof. Dr. Ulrich Pretzel war ab 1941 Privatdozent an der Berliner Universität und gehörte zu den Berliner Germanisten, [...] mit denen Dr. Schneider sowohl während des Studiums als auch während seiner Zeit in Berlin ab Juli 1942 beruflich - Dr. Schneider war auch Beauftragter für das sogenannte "Langemarck-Studium" - verkehrte.(19)

Somit möchte ich behaupten, dass Karrieren wie die von "Dr. Schneider gen. Dr. Schwerte" (wir sollten ständig an die akademische Würde denken, die ihn kontinuierlich begleitet hat) ohne ein gut funktionierendes Netzwerk alter Kameraden/Kollegen gar nicht möglich gewesen wären. Fest steht, dass es Mitwisser aus der NS-Zeit gab, die ihn während seiner erneuten Bilderbuchkarriere wohlwollend begleiteten oder gar förderten. Zu ihnen gehörten der bereits erwähnte Hamburger Sprachwissenschaftler Ulrich Pretzel. Höchst wahrscheinlich ist es auch, dass als der nunmehr Hans Werner Schwerte genannte SS-Veteran im Winter Semester 1946/47 den Studienplatz wechselte, Erlangen kein Zufallsziel war. Aus der Sicht der US Army im Juli 1946, d.h. ein Jahr, bevor er dorthin kam, hatte der dortige Rektor "mit voller Absicht die Universität zum Zufluchtsort für ehemalige Nazis gemacht" ("deliberately made the university into a refuge for former Nazis.")(20) Schließlich ist wohl auch davon auszugehen, dass Schneider/Schwerte nicht ohne Vermittlung von Hamburg nach Erlangen kam. Empfehlungsschreiben der Hamburger Professoren, darunter ganz gewiss ein solches Empfehlungsschreiben von Prof. Dr. Ulrich Pretzel an bestimmte Kollegen in Erlangen werden dem hilfsbedürftigen Wiederholungspromovenden Hans Werner Schwerte so manche Tür an der Friedrich-Alexander-Universität geöffnet haben.(21) Und nun verkommt an der TUD der Nachlass von Pretzel, in dem sich wahrscheinlich auch Korrespondenz in Sache "Stille Hilfe" für Nazi-Akademiker befindet, und man lässt keinen Forscher an die brisanten Materialien heran. Honni soit qui mal y pense!

Ja, wenn - wie das Darmstädter Echo berichtet - Sie zu dem Ergebnis kommen, dass es den Deutschen nach 1945 an Mut und Willenskraft fehlte, um einen Neuanfang zu wagen, dann hat das sicherlich auch mit schillernden Persönlichkeiten wie dem Nibelungenlied-Experten und Ersteller mittelhochdeutscher Wörterbücher Ulrich Pretzel zu tun. Denn während dessen unangepasster Bruder Raimund ins Exil ging, aus seiner Verachtung für die Nazis keinen Hehl machte und seinen Namen umänderte zu Sebastian Haffner, um seine Angehörigen in Deutschland wegen seines Antifaschismus" Nachteile zu ersparen, befolgte Ulrich Pretzel das biedere, alte Sprichwort "Bleib" im Land und nähre dich redlich." Er blieb hübsch patriotisch und gemütlich an der Alster im Schatten des Michels und des Bismarck-Denkmals, plagte sich ab mit Lexikographie, Bedeutungskunde und Verskunst und ungeachtet des Lobliedes in Nachrufen, Pretzel sei "immun gewesen gegen jedwede Trompeten- oder Sirenentöne aus dem NS-Lager"(22), wurde er Mitglied in der NS-Volkswohlfahrt (NSV) und von Nazi-Berufsverbänden wie dem NS-Dozentenbund (NSDDB), ja, er opferte sogar seinen Sommerurlaub, um sich im September 1937 im Gemeinschaftslager des NS-Dozentenbundes intensiv mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen, auf dass er noch mehr Verständnis und Wohlwollen dafür aufbringen konnte. Als er im Oktober 1944 einberufen wurde - die US Air Force und die Royal Air Force hatten bereits Hamburg heimgesucht, die Vorhut der Rote Armee stand bereits auf tschechischem Boden und die US Army hatte soeben die "Siegfried Linie" durchbrochen -,

[Ließen] die Hände vom friedlichen Schaffen,

[Griffen] hastig nach Wehr und Waffen.(23)

Als einer der "letzten Helden des Führers" schulterte Pretzel "sin Scheetgewehr", um sein "heißgeliebtes Vaterland, seine schöne Erde [...] [zu] verteidigen gegen [...] Neger und Kosaken, gegen allen Schmutz der Welt."(24) So vorbildlich tat der brave Soldat Pretzel seine Pflicht, dass er kurz vor Torschluss, im Februar 1945 noch zum Feldwebel befördert wurde. Folglich kann man gut nachvollziehen, warum er nach 1945 sehr viel Verständnis für all diejenigen hatte, die es "in jenen Jahren", gleich ihm, nicht übers Herz gebracht hatten, abseits zu stehen, so dass es ihm ein persönliches Anliegen war, ihnen in aller Stille irgendwie zu helfen.

Der nicht stattgefundene Neuanfang hat auch mit schrillen Konvertiten wie Fritz Fischer zu tun. Sein Namen steht oben auf einer langen Liste politischer Tugendwächter, die mit erhobenem Zeigefinger und gerunzelter Stirn stets die ganze Gesellschaft ermahnten, doch bitte nicht zu vergessen, ihre deutsche Vergangenheit aufzuarbeiten. Das beschäftigte sie so sehr, dass sie gar nicht dazu kamen, sich um ihre eigene Nazivergangenheit zu kümmern, ja, dass sie diese ganz und gar vergaßen. Einer von ihnen, der sich in dieser Hinsicht in jüngster Zeit gründlich blamiert hat, ist der große Walter Jens. Den Deutschen Fußballbund schimpfte er aus, weil er sich seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus nicht zur Genüge gestellt hat. Jetzt spricht man landauf, landab darüber, dass Walter Jens Mitglied der NSDAP gewesen ist, dass er das ganz und gar vergessen hatte, dass er die Herausgeber des Germanistenlexikons, die ihn daran erinnerten, auf böswillige Weise zu verunglimpfen versuchte und dass er deswegen von der unangefochtenen moralischen Instanz, die er einst war, heruntergekommen ist zu einer Witzblattfigur für das Satire-Magazin Titanic.(25)

Dass es keine wirklichen Neuanfang gegeben hat, hat - last but not least - auch mit karrieregeilen Musterschülern wie Helmut Böhme zu tun, der es in seinem Ehrgeiz, voranzukommen, für unklug hielt, über die Verstrickung seines Lehrmeisters in den Nationalsozialismus nachzugrübeln, geschweige denn, diese Verstrickung zu erforschen. Seine Art von Historiker kelterte aus der deutschen Misere eine "objektivistische" Methode, die es der Zeitgeschichte ermöglichte, über alle mögliche Themen zu schreiben, über Strukturen, über Prozesse und vieles andere mehr, nur nicht über die Akteure. Da Sie Anglistin sind, sage ich das mal in Shakespeareschen Kategorien: Die Böhmes und Wehlers und wie sie alle heißen, rackerten sich damit ab, "Hamlet" ohne den Prinzen von Dänemark zu spielen.

Die Probe aufs Exempel: Helmut Böhmes jüngster Aufsatz "Zur Entwicklung einer bundesdeutschen Zeitgeschichtsschreibung am Beispiel des Ersten Weltkriegs."(26) Das ist kein allgemeiner Forschungsbericht oder Überblick über was westdeutsche Historiker seit 1945 über den Ersten Weltkrieg geschrieben haben, sondern - wie der Verfasser bereits im ersten Absatz kundtut - ein Bericht über "ein[e] Kontroverse [...], in die man selbst in entscheidenden Ausbildungsjahren eingebunden war"(27), also ein Bericht über die Fischer-Kontroverse, in der Helmut Böhme als Assistent von Fritz Fischer mittenmang dabei war. Gerade deswegen irritiert mich die geisterhafte Leere, die in dem Aufsatz vorherrscht umso mehr. Fritz Fischer mit seinen verschlungenen, widersprüchlichen, ja, wohl auch rätselhaften Motiven kommt darin überhaupt nicht vor, auch nicht sein damaliger Kempe, der Verfasser der Abhandlung. In seiner Sprachlosigkeit, was diese beide Menschen anbelangt, liefert der Aufsatz somit ein Negativbeispiel, welches die klugen Worte des englischen Diplomaten und Dichters Joseph Addison bestätigt, wonach

a Reader seldom peruses a Book with pleasure, till he knows whether the Writer of it be a black or a fair Man, of mild or cholerick disposition, Married or Bachelor, with other Particulars of the like Nature that conduct very much to the right Understanding of an Author.(28)

Es muss etwas sein, das tiefer geht als Kalkül, eine tiefsitzende Angst, die Helmut Böhme, den Musterschüler von Fritz Fischer, davon abhält, sich mit solchen "Particulars", die vornehmlich mit Psychologie zu tun haben, zu befassen. Poesielos - so könnte man sagen - macht er dem Lehrmeister Leopold von Ranke nach, "sein selbst gleichsam auszulöschen", indem er sich hinter Gelehrsamkeit suggerierenden Fußnoten verkriecht. Sie Ranken vom unteren Seitenrand empor, überwuchern jeweils fast die ganze Seite und drohen, den Text ganz und gar zu verschlingen. Auf der ersten Aufsatzseite gibt es vier Zeilen Text und dann eine Fußnote, die nach der 23. Zeile hinüber Rankt auf die nächste Seite und sich von dort weiter Ränkt bis sie auch noch die vierte darauffolgende Seite verunstaltet hat, so dass auf den betreffenden Seiten nur Platz für sieben bis zehn Zeilen übrigbleibt; Fußnote 2 hat eine Länge von 49 Zeilen und Rankt nach der 28. Zeile weiter auf die nächste Seite, usw.

Wer vom ständigen hin- und herspringen zwischen dem Text und dem Fußnotengestrüpp nicht schizophren wird und sich auf das zu konzentrieren vermag, was Böhme selbst zu sagen hat, wird gewahr, dass als Erklärung eine Art von Reaktionsphysik herhalten muss: Die Fischer-Kontroverse, so seine These, war eine Reaktion auf die Aufrüstungsdiskussion der sechziger Jahre, das Stammtischgerede über Willi Brandts Ostverträge, die absolute CDU-Mehrheit im Parlament, den "Göttinger-Appell" und vieles andere mehr. Zweifelsohne ist das richtig, so richtig wie die Einsicht, dass Der abenteuerliche Simlicissimus, der bedeutendste deutsche Roman des 17. Jahrhunderts, eine Reaktion auf den Dreißigjährigen Krieg war. Doch nur deutsche akademische Historiker vermögen in "Gesprächen zur Geschichtswissenschaft" eine solche Einsicht zur umwälzenden Entdeckung aufspreizen. Worauf es in erster Linie ankommt, das ist im Falle der "Simplicianischen Schriften" der Verfasser Hans Jacob Christophel Grimmelshausen mit seinen Lebenserfahrungen, seinem realistischen Erzähltalent und seinem Einfallsreichtum, in der Fischer-Kontroverse ist es der Historiker Fritz Fischer - und wie mach ich’s Ihnen als Anglistin am verständlichsten - sowie The Pilgrims Progress(29), jene Pilgerschaft, in deren Verlauf er sich von einem Saulus in einen Paulus verwandelte, und die Frage, wie echt diese Verwandlung war.

Was lässt sich sonst noch über Helmut Böhmes jüngsten Aufsatz zur Fischer-Kontorverse sagen? Er fehlt ihm eine gewisse Würze. Das, was man in dem Aufsatz im Hochschulmilieu hochtrabend als "entsagungsvolle sprachliche Nüchternheit" lobt, ist in Wirklichkeit kaum mehr als nicht realisierter Stil. Aber was hätte ein Erzählgenie, das über einen reichen und bildmächtigen Wortschatz verfügt und auf jeglichen wissenschaftlichen Jargon verzichtet, überhaupt unter deutschen akademischen Historikern zu suchen. Die würden einem solchen narrativen Talent doch sehr schnell unterstellen, es mit den Fakten nicht genau zu nehmen.(30) Wie genau sie selbst es mit den Fakten nehmen zeigt u.a. die Fritz Fischer-Hagiographie in der Festschrift zu seinem 65. Geburtstag oder Helmut Böhmes diskretes Eingeständnis, "man wollte nicht wissen, was man wusste." (Vgl. S. 3, Fn. 7)

Wenn sein jüngster Aufsatz zur Fischer-Kontrover ein Zeugnis seines schriftstellerischen Talents ist, dann ist er wahrlich nicht mit dem Stigma behaftet, wunderschön schreiben zu können, weshalb er auch nie Gefahr laufen wird, von den Kollegen verstoßen zu werden. Seine Historiographie geht nicht hinaus über eine dürre Mitteilungsprosa, wie sie in Oberseminaren üblich ist. Jenen "Anteil an Poesie", der laut Marc Bloch in aller Wissenschaft enthalten ist, werden Sie darin nicht finden, was ein Indiz dafür ist, dass die landläufige Geschichtswissenschaft die deutsche Öffentlichkeit aus ihrer Vorstellung verabschiedet hat und sich selbstvergessen ihren Glasperlenspielen hingibt.

Im Gegensatz zu dem Verfasser der "Simplicianischen Schriften", der bewusst für das Volk, den "Herrn Omenes" (alle), für dessen Belehrung und Besserung schrieb, wendet Fischers Musterschüler Helmut Böhme sich dem engen Zirkel der Fachleute zu. Sein Aufsatz ist die gedruckte Fassung eines Vortrags, den er im Rahmen der "Göttinger Gespräche für Geschichtswissenschaft" vor einem auserlesenen Kreis von Kolleginnen und Kollegen hielt. Und ich halte es für pure Heuchelei, wenn er den Vortrag eröffnet, indem er sich ziert, "die Bitte, zu einer Kontroverse zu sprechen, in die [er] selbst in entscheidenden Ausbildungsjahren eingebunden war", ihn "in der positiven Beantwortung" habe zögern lassen. Die Aussicht, ein paar anerkennende Worte von Koryphäen von jenseits des Atlantiks, wie Carl E. Schorske (Princeton) und Fritz Stern (Columbia) (31), die den Kreis mit ihrer Anwesenheit beehrten, zu erheischen, muss doch so verlockend für ihn gewesen sein, dass er der Einladung gar nicht hätte widerstehen können. Das war doch einmal etwas ganz anderes als die Darmstädter Ringvorlesungen, wo es ihm an Trabis nie fehlt, die ihn wie eine Zapfsäule umgeben und wo der eher an einfache hessische historiographischen Kost wie "Schwarzer Magister" oder "Dippehas" gewöhnte Darmstädter Oberbürgermeister dem aus dem teuren Schwabenland zugereisten Altpräsidenten der TUD bescheinigt, er habe in "unvergessenen Vorträgen und Diskussionsbeiträgen [...] die Stadt Darmstadt repräsentiert."(32) Waren dem treulosen Helmut ausländische Fachgrößen mit internationalem Ruf schon wichtiger als die provinzielle Darmstädter Prominenz, was wird er da erst für die interessierten Laien im Hörsaal empfunden haben, deren Gedanken und Gefühle es gilt, wirksam zu mobilisieren für das, was damals geschehen ist? Mehr als Statisten werden sie für ihn nicht gewesen sein.(33)

Doch ich will hier meinen Frust nicht ausschließlich an Helmut Böhme, dem langjährigen Präsidenten der hiesigen Universität auslassen. Historiker wie ihn gibt es viele. Weit über tausend davon arbeiten in der Bundesrepublik allein im Bereich der Zeitgeschichte. Aber bisher fand sich keiner unter ihnen, der die darstellerische Kraft und wohl auch den Mut aufgebracht hätte, sich der Herausforderung zu stellen, eine Gesamtdarstellung des "Dritten Reiches" zu schreiben. Weder Martin Broszats Monographie Der Staat Hitlers(34) noch der gerade vor kurzem erschienene vierte Band von Hans-Ulrich Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte(35) sind Geschichtsdarstellungen von Nazi-Deutschland, die diesen Namen verdient hätten. Broszat, der sich in seinem Gerede über das "Dritte Reich" jeglichen wertenden Wortes über das verbrecherische Wesen des Regimes zu enthalten sucht und nur beschreibt, wie es "funktionierte", macht sich gerade mit seinem "Funktionalismus" die nachträgliche Selbstwahrnehmung der Liquidatoren und Helfershelfer zu eigen. Ministerialbeamte, von denen wir mittlerweile wissen, dass sie sich in der Wannsee-Konferenz mit Vorschlägen zu Wort meldeten, wie man die Beseitigung der Juden effizienter bewerkstelligen könne, werden in seinem viel zu hoch eingeschätzten Buch zu Marionetten, die "ihres Selbstbewußtseins weitgehend beraubt und entsprechend manipulierbar geworden [waren]". Trotz - oder wie Broszat steif und fest behauptet - gerade wegen "nur ungenügender Kenntnis der vollen Absichten der Führung" konnte, anscheinend zu keinem eigenen Gedanken fähigen Helfershelfern "die zur Abwicklung des Gesamtprozesses der "Endlösung der Judenfrage" nötigen, jeweils partiellen verordnungstechnischen und exekutiven Handgriffe [...] zugemutet werden."(36) Was Broszat , der einstige Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, dem Leser zumutet, ist so dreist apologetisch, dass man besser bedient wäre, wenn man gleich zu Albert Speers Erinnerungen(37) oder Großadmiral Karl Dönitz" Memoiren 10 Jahre und 20 Tage(38) greifen würde. Man stelle sich vor, Bürgermeister, Landräte und Regierungspräsidenten, die für die Verwaltung zuständig waren, wobei sie mehr als 1000 Ausnahmegesetze, Anordnungen und Durchführungsbestimmungen herausgaben, die Juden betrafen; Streckenwärter und Bahnhofsvorsteher entlang der zum Vernichtungslager Belzec führenden Eisenbahnstrecke oder gar die Lokomotivführer, die regelmäßig diese Strecke entlang fuhren und das Lager mit vollgepfropften Eisenbahnwaggons belieferte; oder Wehrmachtssoldaten, die Waldstücke abriegelten, in denen Einsatzkommandos an ausgehobenen Gruben Massaker veranstalteten, sie alle sollen "bei nur ungenügender Kenntnis der vollen Absicht der Führung" diese Absichten in die Tat umgesetzt haben?

Das alles ist so hanebüchen und ich habe mich vor einigen Jahren in einem Buch bereits darüber aufgeregt(39), dass ich nicht noch einmal im Detail durchbuchstabieren möchte, warum die Darstellung des Genozids an den Juden in Broszats Buch Der Staat Hitlers nur eine fixe Idee des Verfassers ist. Bei allen Untaten, die von Nazi-Deutschland begangen wurden, leisteten die Helfer und Helfershelfer bei der Judenvernichtung die gründlichste "Arbeit".

Die deutsche Bürokratie ließ sich durch Probleme nicht abschrecken; nie nahm sie zu Vorwänden Zuflucht, wie die Italiener, zu Scheinmaßnahmen, wie die Ungarn, oder zu Hinhaltungen, wie die Bulgaren. Die deutschen Verwalter drängte es nach Perfektion. Anders als ihre Kollaborateure begnügten sie sich niemals mit dem Minimum. Sie taten stets das Maximum.(40)

Deutschen Bürokraten, die so versessen waren auf Perfektion, werden sehr wohl eine Vorstellung davon gehabt haben, was das Gesamtziel bei der "Endlösung" war, um so entsetzlich effizient gewesen zu sein, wie sie es waren. Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister Schacht z.B. wird eine Vorstellung davon gehabt haben, als er sich in einem Schreiben vom 30. Oktober 1935 bei Reichsinnenminister Frick über die Verzögerung bei der Herausgabe gewisser antijüdischer Durchführungsbestimmungen beschwerte.(41) Und zweifelsohne muss auch jenes Reichsgericht eine hinlängliche Vorstellung des Gesamtziels gehabt haben, als es am 27.6.1936 einer Filmgesellschaft Recht gab, die einen Drehbuchautoren und Regisseur auf Rückzahlung einer bereits an ihn geleisteten Anzahlung verklagt hatte. Besagter Autor und Regisseur war zu seinem Verhängnis Jude und somit rechtlos, was dem Gericht Anlass gab, zu entscheiden: "Der Grad völliger Rechtlosigkeit stellte man ehedem, weil die rechtliche Persönlichkeit ganz zerstört sei, dem leiblichen Tod gleich", um dann zu argumentieren, der Beklagte sei wegen Verhinderung durch Tod nicht imstande die Durchführung seiner Regietätigkeit zu gewährleisten, weshalb das an ihn bereits ausgezahlte Geld ihm nicht zustände.(42) Solche abartigen juristischen Konstruktionen würden den "ihres Selbstbewußtseins weitgehend beraubten", "manipulierbaren" Ministerialbeamten in Broszats unnötiger Monographie überhaupt nicht einfallen, sehr wohl aber den auf Perfektion drängenden deutschen Bürokaten in dem Klassiker Die Vernichtung der europäischen Juden aus der Feder des amerikanischen Holocaust-Forschers Raul Hilberg, woraus das eingerückte Zitat weiter oben stammt. Das ist auch der Grund, weshalb Broszats Der Staat Hitlers eigentlich nur noch als Dokument deutscher Verdrängung von Interesse ist, während Hilbergs erstmals 1961 erschienenes Meisterwerk historiographische Standards setzt, an denen man Historiker auch noch in Zukunft messen wird.

Und was Wehlers anbelangt, sein elfhundert enggedruckte Seiten umfassender Buchklotz zeigt nur allzu deutlich, dass der strukturanalytische Ansatz den Verfasser im Stich lässt, wenn er sich an die Erklärung des Nationalsozialismus und des Holocaust heranwagt. Sein neuestes Buch krankt an einer gewissen Hitler-Lastigkeit. Den Judenmord führt er wesentlich auf den Willen des "Führers" zurück, um so die These von der Rolle deutscher Wissenschaftler bei der Vorbereitung und Ausführung dieses Verbrechens als eine "verfehlte Variante der Modernisierungstheorie" abzutun, was den Rezensenten Micha Brumlik die spitze Bemerkung entlockt:

Man tritt dem Autor kaum zu nahe, wenn man hier ein apologetisches Motiv vermutet. Dankt er doch im Vorwort persönlich loyal, in der Sache unverständlich seinem Lehrer Theodor Schieder, der in jungen Jahren als völkischer Akademiker aktiv an Ausmerzungsplänen beteiligt war.(43)

Und da sind wir in diesem Brief, der doch zu einer etwas längeren Abhandlung geraten ist, wieder bei Ihrer Beobachtung angelangt, die "nachfolgende Generation", die Wehlers, Mommsens, Böhmes und wie sie alle heißen, hätten die Kritik an ihren teils schwerbelasteten Lehrmeistern gescheut. Wehler musste schließlich 1998 auf dem 42. Deutschen Historikertag die entscheidungsfreudige Mittäterschaft seines Doktorvaters zu Kenntnis nehmen. Aber an sich herankommen ließ er die schlechte Nachricht nicht. Wie sonst hätte er sich dazu versteigen können, sein neuestes Buch, worin der Judenmord das schwierigste historiographische Problem darstellt, einem Historiker zu widmen, der sich in jungen Jahren für die "Entjudung Restpolens" stark machte? Als herauskam, dass Martin Broszat, der hochangesehene ehemalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, in der NSDAP war und nach 1945 die Öffentlichkeit darüber hinters Licht geführt hatte, setzte sein Schüler Norbert Frei sich nicht mit seinem Lehrmeister auseinander, sondern ging über zur Entlastungsoffensive, bei der unterm Strich herauskam, der junge Broszat sei wahrscheinlich gar nicht über seine Aufnahme in die Partei benachrichtigt worden, weshalb er auch nicht wissentlich gelogen habe, als er 1946 auf seiner Studienbewerbung die Frage nach der Parteimitgliedschaft mit "nein" beantwortete. Und nun nimmt ein Meinungsmacher wie Volker Ullrich, Leiter des Ressorts "Das politische Buch" beim Wochenblatt Die Zeit, der auch ein Vertreter der "nachfolgenden Generation" ist, ganz bedrückt zur Kenntnis, dass Fritz Fischer eben auch ein Nazi war. Doch statt Griff nach der Weltmacht in neuem Lichte zu lesen, schließt er seinen Kommentar zu den neuesten Enthüllungen mit der beruhigenden Bemerkung: "Fritz Fischers große Verdienste um die westdeutsche Geschichtsschreibung nach 1945 werden durch die jüngsten Enthüllungen nicht geschmälert."(44)

Immer das gleiche, wenn’s um die Lehrmeister oder aber auch nur um "Kollegen" geht, stößt man auf was Deborah Lipstadt das "Yes, but" ("Ja, aber")-Syndrome nennt.(45) Ja, zwar habe Theodor Schieder, einer der hochangesehenen Gründerväter der bundesdeutschen Geschichtsschreibung, seinerzeit einen Denkschrift abgefasst, in der er die "Entjudung Restpolens" forderte, aber nach 1945 sei er kein Rechtsradikaler geworden und habe ein honoriges Leben geführt. (So dem Sinn nach Wehler) Ja, zwar habe Martin Broszat noch als Flakhelfer und Frontsoldat der letzten Stunde Dienst getan, aber wusste er dass er seit 1944 als Parteimitglied geführt wurde? (Norbert Frei) Ja, der Paradeaufklärer Fritz Fischer sei zwar in der SA und der NSDAP gewesen, habe damals auch den Wunsch geäußert, u.a. über "das Eindringen des Judentums in Kultur und Politik" "wieder einige Vorträge vor den Batterien zu halten", aber seine großen Verdienste nach 1945 schmälere das nicht. (Volker Ullrich) Da ist doch etwas faul! Die Meinungsmacher aus der "nachfolgenden Generation" sind der naiven Hoffnung verfallen, man könne die Taten und Leistungen nach dem Krieg von Leuten wie Schieder, Broszat und Fischer wie in der Mathematik faktorisieren und einen NS-Faktor ausklammern, um den Rest für die demokratische Entwicklung dieses Landes hinüberretten.

Die angelsächsische Redewendung "fish don’t notice the water they swim in," wird ihnen vertraut sein. Sie ist anwendbar auf die Wehlers, Freis und Ullrichs. Aufgewachsen in einer Gesellschaft, deren Angehörige sich aus dem Zusammenbruch erhoben und allmählich Stand und Anerkennung zurückgewannen, scheint es für sie durchaus möglich zu sein, in Differenz zu sich selbst zu existieren, so dass es eines Außenseiters bedarf, dem diese Art von Sozialisation erspart geblieben ist, wie beispielsweise den in Wuppertal lehrenden amerikanischen Romanisten Earl Jeffrey Richards, um dieser "nachfolgende Generation" zu sagen, dass man es im Fall von Schneider/Schwerte, Theodor Schieder, Fritz Fischer und wohl auch im Fall von Martin Broszat eigentlich nur mit Mimikry-Künstlern zu tun hat, die sich - wie Richards zu recht notiert - "einer größeren demokratischen Strömung angepasst [haben], aber nicht einmal perfekt."(46) Und - so würde ich die Diagnose bis in die Gegenwart weiterführen - solange Meinungsmacher wie Hans-Ulrich Wehler, Norbert Frei und Volker Ullrich sich tief in ihrem Inneren mit den kompromittierten Lehrmeistern identifizieren und die Vergangenheit nur mit dem Kopf aufarbeiten, wird, was auch immer sie sagen oder schreiben mögen, ebenfalls weiter nichts sein als mechanisch heruntergebetete Beteuerungen, rettende, dem jeweiligen Zeitgeist huldigende Anpassung.

Hiermit stellt sich die Frage der Ästhetik, mit der Sie sich als Literaturwissenschaftlerin zweifelsohne sehr viel beschäftigen. Franz Neumann bringt sie ins Spiel in seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, wenn er die Werke großer Grübler und Denker mit der Ideologie der Hitler-Bewegung kontrastiert. In seinem längst schon zum Klassiker avancierten Behemoth notiert er:

Bei der Lektüre von Plato und Aristoteles, Thomas von Aquin und Marsilus von Padua, Hobbes und Rousseau, Kant und Hegel fasziniert uns die innere Schönheit ihres Denkens, ihre Konsistenz und Eleganz, so sehr wie die Art und Weise, in der ihre Lehren mit den sozio-politischen Analysen in Einklang stehen.(47)

Er spricht von Stimmigkeit; traditionell wird sie "Schönheit" genannt. Wo gibt es diese Stimmigkeit bei Wehler? Seinen neuen Buchklotz widmet er seinem Lehrmeister Theodor Schieder, der seinerzeit die "Entjudung Restpolens" forderte, meint aber, dessen ungeachtet, er arbeite daran, den nationalsozialistischen Judenmord ganz unvoreingenommen aufzuklären. Das passt doch nicht zusammen. Gerade derartige Unstimmigkeiten sind der Grund dafür, dass - wie Joachim Fest so treffend bemerkt - deutschen akademische Historiker "über eine dürre Mitteilungsprosa, in der das Oberseminar seine stilbildende Kraft demonstriert, kaum je hinaus[kommen]."(48)

Zwar meint Ihr Darmstädter Kollege, der Historiker Christof Dipper, wenn deutsche Historiker nicht gelesen würden, das mit ihrer "Scheu vor einfachen Antworten" zu tun habe(49), doch macht er es sich damit zu leicht. Um wahrhafte Geschichte zu schreiben, braucht man eben mehr als Sachkenntnis, Theorie und das von Wehler gepriesene "Seziermesser rationaler Analyse."(50) Mittels dieser können genau ermittelte Details zwar geordnet und kombiniert werden, was der britische Historiker David Blackbourn an Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte durchaus lobt: "Wehler’s elaborate system of sub-headings (e.g. Fünfter Teil, IV B, 4d) signal [his] greatest strength: his capacity to order and categorize existing knowledge on a suject," aber irgendwie hat er nicht so recht Appetit auf das fade Wissenschaftsbrot, das Bäckermeister Wehler aus Bielefeld für ihn gebacken hat. Die vom Meister gnadenlos durchgezogene Gliederung erinnert ihn zu sehr an jenen Geschichtsprofessor, der mit der Beteuerung "I love you dearly, and have seven main reasons ...," seiner Angebeteten einen Heiratsantrag gemacht haben soll.(51) Theorie und Sinn für Ordnung können eben nicht den Mangel an Wahrheit und die Leblosigkeit der Darstellung aufwiegen, die eine Folge des Nichtbeteiligseins des Historikers sind.

Und wie Blackbourn unterstreicht, ist die Darstellung in Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte ziemlich leblos. Seine Sprache sei zu abstrakt, moniert er, durch viele seiner statistischen "Übersichten" könne kein Mensch hindurchdurchsteigen, weil sie einen Wirrwarr von Daten enthielten(52), was nicht gezählt werden könne, zähle nicht ("a tendency to discount what cannot be counted"), zwar thematisiere Wehler die Kirche, Substanz und Inhalt von Religion interessierten ihn aber nicht, Kunst, Literatur und Musik kämen bei ihm so gut wie gar nicht vor, verließe man sich auf ihn, dann lebten die Deutschen in einem Land ohne Küste, ohne Flüsse, ohne Wälder, ohne Gebirge und ohne regionale Unterschiede, weshalb es auch kein Zufall sei, dass seine Gesellschaftsgeschichte keine Landkarten enthielte.(53)

All diese Mängel bringt er auf einen Nenner: "Wehler does not habe a Braudelian bone in his body," um dann mit Bedauern fortzufahren: "This he will certainly take as a compliment. Yet it is a pity. For who better to take seriously a dimension of the past usually ignored by everyone [...] than this - in the best sense - thoroughly materialist historian?"(54) Doch wird die Fachwelt und interessierte Laien es nie erleben, dass Wehler den historischen Diskurs noch mit einem Werk bereichern wird, das sich mit Braudels Klassikern messen kann. Fernand Braudel, der Vater des historischen Strukturalismus, dem geistlos nachgebetet wird, war Historiker aus Leidenschaft. Er war offen für Konflikte, auf die die meisten Menschen nicht wagen würden, sich einzulassen. Sein berühmtes Buch La Médirranée et le monde mediterranée à l’époque de Philippe II (1949) das geradezu ein Modell der Geschichtsdoktrin der Annales ist: der Doktrin, dass die langfristig wirkenden, leblosen unpersönlichen Kräfte der Geschichte - Geographie, Demographie, Ökologie, Ökonomie - die "tieferen Realitäten" der Geschichte sind, im Gegensatz zu den kurzfristig wirksamen Ereignissen, entstand als tour de force gegen die Verzweiflung. Er schrieb das Buch aus dem bloßen Gedächtnis, ohne die Unterstützung von Bibliotheken und Archiven, als er als Kriegsgefangener während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland inhaftiert war. Über die Entstehungsgeschichte teilt er uns mit:

[Es war] eine direkte existentielle Reaktion auf die tragischen Zeitläufe, die ich durchlebte. Alle diese Vorfälle, die aus dem Rundfunk und den Zeitungen unserer Feinde auf uns einstürmten, oder gar die Nachrichten aus London, die unsere geheimen Radios uns übermittelten - ich mußte sie hinter mir lassen, sie ablehnen, sie leugnen. Nieder mit den Zwischenfällen, vor allem mit ärgerlichen! Ich mußte einfach glauben, daß die Geschichte und das Schicksal auf einer tieferen Ebene geschrieben werden.(55)

Aber das ist es ja gerade, vor dieser tieferen Ebene, vor dem "Abstieg zu den Müttern" sozusagen, haben deutsche Historiker eine panische Angst. Womit müssten sie sich da nicht alles auseinandersetzen? Wehler wohl mit seinem Vater, der nicht aus dem Krieg heimkehrte; mit dem Trauma der Feuersturmbombardements - er war als Teenager in Köln bei einem HJ-Feuerlöschzug und berichtet: "Wir mussten erwachsenen Menschen aus brennenden Häusern holen, die nur noch aus einem knapp einen Meter langen Stück "Kohle" bestanden,"(56); und mit seinen Doktorvater Theodor Schieder. Das, was er bisher über letzteren hat verlautbaren lassen, ist zu seicht und konventionell, als dass man es Auseinandersetzung nennen dürfte. Aber machen wir uns nichts vor, er wird sich nicht mit all dem auseinandersetzen, die gesamte Generation der deutschen Meinungsführer, die das "Dritte Reich" in einem kritischen Alter miterlebt hat und lebenslänglich davon geprägt, und was auch gesagt werden muss - von Flucht und Ausbombardierung traumatisiert worden ist, wird die Vergangenheit niemals an sich herankommen lassen. Was Akademiker aus dieser Altersgruppe, seien sie jetzt Historiker, Soziologen, Anglisten oder Theologen, noch über das "Dritte Reich" und den Holocaust schreiben und sagen werden, wird nach wie vor abstrakt, leblos und immer irgendwie apologetisch sein.

Aber lassen wir uns von der Vergangenheit berühren, hören wir auf, die Welt von sehr weit oben zu betrachten. Fangen wir hier in unserer kleinen Stadt an, stellen wir an der Uni hier ein paar kindlich naive Fragen ("Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr." Matth.5,3): Was exakt war es, was der Fritz Fischer-Schüler Helmut Böhme über die braune Vergangenheit seines Lehrmeisters wusste, aber gar nicht wissen wollte oder dessen er sich um keine Preis bewusst werden wollte? Und da Fritz Fischers Aufstieg in der Bundesrepublik zum Paradeaufklärer, nachdem er im "Dritten Reich" aktiv als Nazi mitgemacht hatte, nur die Spitze des Eisbergs ist: Was für Spuren haben Seilschaften, die Nazi-Akademiker still und leise zurück in die Universität schleusten, in der nicht zugänglichen "Pretzel-Bibliothek" hinterlassen?

Den Zeitungsartikel über ihren Vortrag nochmals überfliegend, sage ich: "Alle Achtung!" Doch abzuwarten bleibt, ob die hiesigen Wissenschaftswoiwoden und Fakultätsmuftis nicht den edlen Wein Ihrer Überzeugung mit dem Wasser ihrer Alltagsfeigheit verdünnt werden. Davon hängt aber letztendlich die wissenschaftliche Integrität der Stätte der Lehre und Forschung ab, die Ihnen im Rahmen einer Ringvorlesung eine Plattform gab für die Verkündung Ihrer Botschaft. Sollte es dieser Stätte jedoch in erster Linie um "Ehre", Reinheit und Identität gehen: der eigenen Fakultäten, der eigenen Professoren, des eigenen langjährigen Präsidenten, dann kann man die Wissenschaft zu Grabe tragen. Sorge um "Ehre und Anstand" lässt sich eben nicht mit dem Auftrag der Universität vereinbaren, die - laut dem Amtsblatt der TUD - eine ""gefährliche Brutstätte des Geistes" sein und bleiben muss"(57).

Mit solidarischen Grüßen,

Fred Kautz

(1) kaw, "Nur wenige wurden rehabilitiert: Verfolgte Wissenschaftler - Niedergang der Philologie in der Zeit des Nationalsozialismus," Darmstädter Echo, 4. Feb. 2004, S. 14.

(2) Klaus Grosse Kracht, "Fritz Fischer und der deutsche Protestantismus," Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte, 10, Heft 2 (2003), 224-252; Johann Hinrich Claussen, "Umgepoltes Denken - Erst völkisch, dann kritisch: Der Historiker Fritz Fischer," Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Jan. 2004, S. N3; Volker Ullrich,"Griff nach der Wahrheit - Der berühmte Historiker Fritz Fischer im Zwielicht," Die Zeit, 15. Jan. 2004, S. 41; Rudolf Walter, "Im kollektiven Beschweigen eingerichtet - Parteigänger der Nazis: Neue Forschungen werfen ein anderes Licht auf den Historiker Fritz Fischer, der die Bundesrepublik aufklärerisch geprägt hat," Frankfurter Rundschau, 16. Jan. 2004, S. 17; Hartmut Pogge von Strandmann, "Aus akutem Geldmangel in die Partei eingetreten," [Leserbrief zu Claussen, "Umgepolgtes Denken"], Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Feb. 2004, S. 8.

(3) kaw, ""Keine abgeschottete Insel im braunen Meer": Geschichte - Die Technische Hochschule Darmstadt im Dritten Reich - Helmut Böhme eröffnet Vorlesungsreihe," Darmstädter Echo, 31. Okt. 2003, S. 10.

(4) Zit. nach Angelika Ebbinghaus und Karl Heinz Roth, "Deutsche Historiker und der Holocaust," 1999: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. Und 21. Jahrhunderts, Nr, 3 (1991), S. 8.

(5) Hans-Ulrich Wehler, "In den Fußstapfen der kämpfenden Wissenschaft - Braune Erde an den Schuhen: haben Historiker wie Schieder sich nach dem Krieg von ihrer Vergangenheit ganz verabschiedet?" Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Jan. 1999, S. 48.

(6) Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1966); siehe auch: Georg G. Iggers, Deutsche Geschichtswissenschaft: Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, übertr. aus dem Englischen von Christian M. Barth, dtv Wissenschaftliche Reihe, 4059 (1968; München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1971), S. 328.

(7) Helmut Böhme, ""Primat" und "Paradigmata". Zur Entwicklung einer bundesdeutschen Zeitgeschichtsschreibung am Beispiel des Ersten Weltkriegs," in Harmut Lehmann, Hrsg., Historikerkontroversen, Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 10 (Göttingen: Wallstein Verlag, 2000), S,.120.

(8) Vgl. Imanuel Geiss und Jürgen Wendt, Hrsg. unter Mitarbeit von Peter-Christian Witt, Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, Fritz Fischer zum 65. Geburtstag (Düsseldorf: Bertelsmann Universitätsverlag, 1973).

(9) Kurt Galling, Hrsg., in Gemeinschaft mit Hans Frhr. von Camphausen [...], Die Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (Tübingen: Mohr, 1957ff.).

(10) Erich Seeberg, Meister Eckhart (Tübingen, 1934).

(11) Erich Seeberg, "Die verlorene Handschrift: Zur Geschichte der Meister Eckhart-Ausgabe," Nationalsozialistische Monatshefte, 8 ( Mai 1937), 386-397.

(12) Vgl. Klaus Große Kracht, "Fritz Fischer ...," S. 234.

(13) Geiss und Wendt, "Fritz Fischer zum 65. Geburtstag," in dies., Hrsg., Deutschland in der Weltpolitik, S. 11.

(14) Exposé [Entwurf] (BArch N 1422/44), zit nach Klaus Große Kracht, "Fritz Fischer ...," S. 238.

(15) Geiss und Wendt, "Fritz Fischer zum 65. Geburtstag," in dies.,Hrsg., Deutschland in der Weltpolitik, S. 10-11.

(16) Vgl. Klaus Grosse Kracht, "Fritz Fischer und der deutsche Protestantismus," S. 239-240.

(17) Christoph König, Hrsg., Internationales Germaistenlexikon 1800-1950, bearbeitet von Birgit Wägenbaur zusammen mit Andreas Frindt, Hanne Knickmann, Volker Michel, Angela Reinthal und Karla Rommel (Berlin / New York: Walter de Gruyter, 2003).

(18) Helmut Böhme und Jochen Gamm, Hrsg., Verantwortung in der Wissenschaft - Eine Ringvorlesung an der Technischen Hochschule Darmstadt im Wintersemester 1986/87, THD-Schriftenreihe Wissenschaft und Technik, hrsg. vom Präsidenten der Technischen Hochschule Darmstadt (Darmstadt: Technische Hochschule Darmstadt, 1988).

(19) Earl Jeffrey Richards, "Dr. Schneider gen. Dr. Schwerte - Versuch einer vorläufigen Bilanz," in Ungeahntes Erbe - Der Fall Schneider/Schwerte: Persilschein für eine Lebenslüge. Eine Dokumentation, hrsg vom Antirassismus-Referat der Studentischen Versammlung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Aschaffenburg: Alibri Verlag, 1998), S. 226.

(20) Zit. nach Earl Jeffrey Richards, "Dr. Schneider gen. Schwerte," S. 226.

(21) Das Entgegenkommen dort war so überaus groß, dass Schneider/Schwerte bereits ein Jahr später "[m]it Genehmigung des Herrn Dekans der Philos. Fakultät [...] nur eine Teilabschrift seiner Dissertation vor[zu]leg[en brauchte]," wobei laut dem Aachener Germanisten Theo Buck angesprochene "Teilabschrift" alles ist, was es von der Dissertation je gegeben hat. Sie bestand aus ganzen 60 Seiten, 29 davon Anmerkungen. Hauptgutachter war der nur sechs Jahre ältere Heinz Otto Burger, der seinerzeit in SA-Uniform Vorlesungen zu halten pflegte. Vgl. Theo Buck, "Ein Leben mit Maske oder "Tat und Trug" des Hans Ernst Schneider," Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht, Nr. 77 (1996), S. 58-59.

(22) Peter Wapnewski, "Geistesfülle - Zum Tode von Ulrich Pretzel," Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Nov. 1981, S. 25. Freilich ist Wapnewski in NS-Angelegenheiten kein besonders zuverlässiger Zeuge, hatte er doch seinen eigenen Beitritt zur NSDAP im Jahre 1940 vergessen. (Vgl. u.a. Sven F. Kellerhof, "Ohne Nachsendeantrag - Ein neues Lexikon nennt 100 Germanisten mit NS-Parteibuch, darunter Höllerer, Jens und Wapnewski," und "Peter Wapnewski: "Unwissentlich ausgefüllt,","[Interview, geführt von Wieland Freund], Die Welt, 25.11.2003, S. 27.)

(23) Alfons Petzold, "Volk, wahre den Mut!" Volk im Krieg, Deutsche Reihe, Bd. 18 (Jena: Eugen Diedrichs Verlag, 1941), S. 48.

(24) Gustav Frensen, Die Brüder, 44. Tausend (Berlin: G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, 1917), S. 169.

(25) ""Jens schließt Erinnerungslücke": "Ja, okay, ich war in der Partei, aber: hätten wir den Krieg gewonnen, würden sich jetzt alle schwer bedeckt halten ..."." Titanic: Das endgültige Satiremagazin, Nr. 2 (April 2004), S. 43.

(26) Böhme, ""Primat" ...," S. 87-174.

(27) Böhme, ""Primat" ...," S. 89.

(28) Joseph Addison, zit. nach John Steinbeck, Travels with Charley: In Search of America (1962; New York: Bantam Books, 1963), S. 38.

(29) Erbauungsbuch von John Bunyon (1. Teil 1678; 2. Teil 1684), worin der Verfasser die Pilgerschaft von der Flucht aus der "Stadt der Zerstörung" bis zum Eingang in die "Stadt Gottes" schildert. Eines der großen klassischen Werke Englands, das über Jahrhunderte einem breiten britischen Publikum den Ernst der puritanischen Glaubenshaltung nahe brachte.

(30) Gerade das warfen sie Golo Mann, dem wohl meistgelesenen deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts vor Vgl. Susanne Beyer, "Zauberers trotzig-treuer Erbe," Der Spiegel, 15. März 2004, S. 204-206.

(31) Von den beiden ist Fritz Stern (*1926 Breslau) hierzulande wohl der Bekannteste. Er wurde 1938 mit seinen Eltern aus "rassischen" Gründen aus Deutschland vertrieben. Aufnahme in den USA. Professor Emeritus an der Columbia University, New York. Mit Emigranten wie Fritz Stern, die es nach ihrer Vertreibung aus Deutschland in ihrer Wahlheimat zu etwas gebracht haben, werten deutsche Organisatoren von Inszenierungen wie Gedenkstunden oder Gesprächsrunden ihre Veranstaltungen sehr gerne auf. Just zu diesem Zweck, nämlich um "das Ansehen und die Attraktivität ihrer Universität über die Landesgrenzen hinaus zu fördern", gewannen die "Freunde der Universität Mainz e.V." Fritz Stern für die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessor. Im einschlägigen Faltblättchen der Universität, die sich bei der Aufarbeitung der Nazizeit nicht sonderlich hervorgetan hat, wird tunlichst vermieden, darüber zu reden, dass der Stiftungsprofessor seinerzeit von den Nazis verfolgt wurde. Kryptisch vermerkt das Stern-Biogramm: "1938 in die USA ausgewandert". Wie dem auch sei, ich erlebte Fritz Stern im Mai 2000 als Gutenberg-Stiftungsprofessor bei einer Podiumsdiskussion, wo er eine solche aufwertende Funktion einnahm. Gewünscht hätte ich mir einen zornigeren Emigranten; statt dessen saß auf dem Podium ein hochgeehrter Koryphäe, der vornehme Zurückhaltung übte.

(32) Oberbürgermeister Peter Benz in seiner Rede anlässlich der Feier "am Ende der 24-jährigen Amtszeit des seitherigen Präsidenten der Technischen Hochschule Darmstadt, Herrn Prof. Dr. Helmut Böhme" in Von der Herausforderung eine demokratische Universität zu gestalten: 24 Jahre Präsidentschaft Helmut Böhme - Dokumentation der Veranstaltung am 22. Juni 1995 im Auditorium Maximum der Technischen Hochschule Darmstadt, THD-Schriftenreihe Wissenschaft und Technik, hrsg vom Präsidenten der Technischen Hochschule Darmstadt, Bd. 68 (Darmstadt: Darmstadt: Technische Hochschule Darmstadt, 1996), S. 28.

(33) Dezidiert widersprechen würde mir hier wohl Dr. Henner Pingel-Rollamann, der "als ehemaliger Student der TH Darmstadt" (so hieß sie bevor ihrer Umbenennung zu TUD) gebeten wurde, in der bereits oben zitierten Böhme-Festschrift "einige Worte über den Menschen, Hochschullehrer und Präsidenten Helmut Böhme zu sagen." Liest man seine Würdigung des "Professors "zum anfassen"," glaubt man schier, es in der Person Helmut Böhmes mit dem Heiland zu tun zu haben. In seiner, mit Dias illustrierten "journey down memories lane" erläutert Dr. Pingel-Rollmann ein Bild wie folgt: "Hier handelt es sich um ein Photo von einem Picknick während einer Mittagsrast auf freiem Feld. In Ermanglung eines geeigneten Lokals und zur Senkung der Reisekosten hatte Herr Böhme kurzerhand den Bus in einem Dorf anhalten lassen und allerlei Zutaten für einen Salat eingekauft. Ich habe noch heute bildlich vor Augen, wie er dann mit bescheidenen Hilfsmitteln in einer großen Schüssel einen äußerst schmackhaften Salat für uns zubereitete." (S. 68)

Für mich, der ich nicht dabei war, und daher diese idyllische Szenen aus gebotener Distanz kritisch betrachten kann, erinnert das bukolische Mal zu Füßen von Helmut Böhme doch sehr an die "Speisung der Fünftausend": "Und er hieß das Volk sich legen auf das Gras und nahm die fünf Brote und die zwei Fische, sah auf gen Himmel und dankte und brach’s und gab die Brote den Jüngern, und die Jünger gaben sie dem Volk. Und sie aßen alle und wurden satt und hoben auf, was übrig an Brocken, zwölf Körbe voll." (Matth. 14, 19-20) Gewissermassen erinnert das präsidiale déjeuner sur l"herbe darüber hinaus an den Bibelvers: "Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht." (Mark. 10, 14)

Doch wenn es darum geht, zu berichten, wie es eigentlich gewesen, sollte man sich doch lieber nicht das Neue Testament zur Vorlage nehmen. Die Festschrift, der ich Dr. Pingel-Rollmanns Darstellung entnommen habe, ist nebenbei bemerkt, ein äußerst mickriges Exemplar dieser Art von Hochschulschriften. Sie ist gerade 6 mm dick, erschien, wie der vorhergehenden Fußnote zu entnehmen ist, auch nicht in einem angesehenen Universitätsverlag, sondern in der hauseigenen "gelben Reihe" "THD-Schriftenreihe Wissenschaft und Technik" und wurde auch in der hauseigenen Lehrdruckerei gedruckt.

Das Groß der Beiträge stammt von den Trabanten des Präsidenten, wie dem Vizepräsidenten und dem Kanzler der damaligen TH Darmstadt, kein Beitrag oder Grußwort von dem international angesehenen amerikanischen Distinguished Professor of History Georg Iggers, der immerhin Inhaber der TUD Erasmus-Kittler-Medaille ist, auch nicht von dem Historiker Michael Stürmer, der sich in Darmstadt habilitierte und es bis zum Politikberater von Helmut Kohl gebracht hat oder von Rainer Zitelmann, der mit seiner revisionistischen Darmstädter Dissertation Hitler, Selbstverständnis eines Revolutionärs (Stuttgart, 1987) seine Alma mater in Verruf gebracht hat. Kurz, mangels Zöglingen von Helmut Böhme, die ein Loblied auf ihren Lehrmeister hätten anstimmen können, besann man sich auf den einstigen Darmstädter AStA-Aktivisten Henner Pingel-Rollmann, der irgendwo in Herford als Studienrat oder Stadtarchivar ein bescheidenes Auskommen gefunden hat.

(34) Martin Broszat, Der Staat Hitlers (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969).

(35) Hans-Ulrich Wehler, Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten, 1914-1949, Bd IV von Deutsche Gesellschaftsgeschichte (München: C. H. Beck, 2003).

(36) Martin Broszat, Der Staat Hitlers, S. 401.

(37) Albert Speer, Erinnerungen (Frankfurt am Main: Ullstein; 1969).

(38) Karl Dönitz, 10 Jahre und 20 Tage, 7. Aufl., mit einem Nachwort von Prof. Dr. Jürgen Rohwer über die Schlacht im Atlantik in der historischen Forschung 1980 (1958; München: Bernard & Graefe Verlag, 1980). In Nürnberg von dem englischen Ankläger Sir David Maxwell Fyfe ins Kreuzverhör genommen, was er denn bei seiner Rede zum Heldengedenktag am 14. März 1944 mit dem "auflösenden Gift des Judentums" gemeint habe, drehte und wand der Großadmiral sich und bestritt stur, von den Absichten der Führung, die Juden zu liquidieren gewusst zu haben, geschweige, dass er damit einverstanden gewesen wäre. Sir David Maxwell Fyfe ließ das nicht gelten und summierte: "Nun, was ich Ihnen hier vorhalte, ist, dass Sie sich an der Jagd auf diesen unglücklichen Teil Ihres Volkes beteiligten und sechs- oder siebenhunderttausend Angehörige der Marine bei dieser Jagd anführten." Cf. Jörg Friedrich, Die kalte Amnestie: NS-Täter in der Bundesrepublik (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1984), S. 54-55. Zu Dönitz" Glück lag dem Militärtribunal eine andere Rede aus dem Krieg nicht vor, in der er geäußert hatte, er würde lieber Dreck essen, als zuzulassen, dass sein Enkel in "jüdischem Geist und Filz" aufwüchse. Cf. Gerald Posener, Belastet: Meine Eltern im Dritten Reich - Gespräche mit den Kindern von Tätern, aus dem Amerikanischen von Manfred Schmitz (Berlin: Eulenspiegel Das Neue Berlin, 1994), S. 198.

(39) Cf. Fred Kautz, Gold-Hagen und die "hürnen Sewfriedgte" - Die Holocaust-Forschung im Sperrfeuer der Flakhelfer, Edition Philosophie und Sozialwissenschaften 48 (Berlin und Hamburg: Argument Verlag, 1998); ders. Die Holocaust-Forschung im Sperrfeuer der Flakhelfer - Vom befangenen Blick Deutscher Historiker aus der Kriegsgeneration, 2. erweiterte Aufl. (Frankfurt am Main: Verlag Edition AV, 2002); ders., The German Historians - Hitler" Willing Executioners and Daniel Goldhagen, vom Autoren ins Englische übertragene, nochmals erweiterte Fassung der 2. deutschen Aufl. (Montréal / New York / London: Black Rose Books, 2003).

(40) Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, aus dem Amerikanischen ins Deutsche übers. von Christian Seeger, Harry Maor und Wilfried Szepan (1961; Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1990), III, 1072.

(41) Hilberg, Die Vernichtung, I, 43.

(42) Vgl. Richard Schmid, "Nachwort," zu NS-Verbrechen vor Gericht 1945-1955 - Dokumente aus hessischen Justizakten, hrsg. von Klaus Moritz und Ernst Noam, Bd. II von Justiz und Judenverfolgung, (Wiesbaden: Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, 1978), S. 332-333.

(43) Micha Brumlik, "Eine deutsche Unheilsgeschichte," Rez. des 4. Bandes der Deutschen Gesellschaftsgeschichte von Hans-Ulrich Wehler, literataz, S. XV, Beilage zu die tageszeitung, 8. Okt. 2003.

(44) Volker Ullrich, "Griff nach der Wahrheit - Der berühmte Historiker Fritz Fischer im Zwielicht," Die Zeit, 15. Jan. 2004, S. 41. Was dem Ressortleiter "Politisches Buch" bei der Zeit nicht in den Sinn kommt, Griff nach der Weltmacht in neuem Licht zu lesen, wurde - nachdem herauskam, dass SS-Hauptsturmführer Dr. Hans Ernst Schneider und Seine Magnifizenz Prof. Dr. Hans Werner Schwerte identisch waren - als unerlässliche Aufgabe angesehen. Unter anderem las der Aachener Germanist Theo Buck Schneider/Schwertes Habilitationsschrift Faust und das Faustische: Ein Kapitel deutscher Ideologie (Stuttgart, 1962) nochmals und kam zu dem Schluss, dass die darin angeblich so wichtige Ideologiekritik viel zweideutiger ist als bis dahin angenommen wurde. Vgl. Theo Buck, "Ein Leben mit Maske ...," S. 46-81, besonders S. 72-74.

(45) Deborah Lipstadt, Denying the Holocaust - The growing Assault on Truth and Memory (New York: Plume, 1994), S. 215: "These historians are not crypto-deniers, but the results of their work are the same: the blurring between fact and fiction and between persecuted and persecutor. Ultimagtely, the relativists contribute to the fostering of what I call the "yes, but" syndrome. Yes, there was a Holocaust, but the Nazis were only trying to defend themselves against their enemies. Yes, there was a Holocaust, but the Jews" behaviour brought it on them. ... Relativism, however convoluted, sounds far more legitimate than outright denial."

(46) Earl Jeffrey Richards, "Dr. Schneider gen. Dr. Schwerte," S. 231.

(47) Franz Neumann, Behemoth: Strukturen und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944 (1944; Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1984), S. 65.

(48) Joachim C. Fest, "Noch einmal: Abschied von der Geschichte - Polemische Überlegungen zur Entfremdung von Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit," in ders. Aufgehobene Vergangenheit: Portraits und Betrachtungen (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1981), S. 258.

(49) Christor Dipper, "Warum werden deutsche Historiker nicht gelesen?" Anmerkungen zur Goldhagen-Debatte," in Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit: Der Streit um Daniel J. Goldhagen, hrsg. Johannes Heil und Rainer Erb (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1998), S. 93-108.

(50) Hans-Ulrich Wehler, "Geschichte von unten gesehen: Wie bei der Suche nach dem Authentischen, Engagement mit Methodik verwechselt wird," Die Zeit, 3. Mai 1985; Auszüge dieses Artikels in Arbeitshefte zur sozialistischen Theorie und Praxis [bundesweite Zeitschrift der JUSO-Hochschulgruppen], Nr. 67 (Dezember, 1985), S. 29-30.

(51) David Blackbourn, "A thoroughly Modern Masterpiece - Wehler’s Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: 1849-1914," Neue Politische Literatur, 41 (1996), S. 189-192.

(52) Joachim C. Fest, "Noch einmal: Abschied von der Geschichte ...," S. 251: "Aber wirkliche Geschichtsschreibung ist immer erzählend, alles andere ist nur Material und Schleppdienst. [...] Gewiß bedarf das mancherlei Einschränkungen. Die Darstellung historischer Abläufe kann unterdessen auf analysierende Angriffe und statistische Daten nicht mehr verzichten. Aber wenn es um Verbreitung von Erkenntnissen, um Bewusstmachungsprozesse geht, wenn also Geschichtsschreibung sich an ein Publikum wenden soll, kommt es entscheidend darauf an, die Zahlen zum Leben zu erwecken und aus toten Diagrammen Funken der Einsicht zutage zu fördern.

(53) Diese Auslassungen, was Boden und Klima anbelangt, sind kein Zufall, wie Blackbourn behutsam notiert: "Wehler would probably feel that venturing into this terrain smacked too much of Heimat romanticism or a politically compromised concern with geography and Landeskunde." (S. 192) Viel deutlicher sagt Marc Fisher, der einstige Washington Post Deutschland-Korrespondent, mit was für Berührungsängsten man es hier zu tun hat, wenn er schreibt: "In so many ways, normal life since World War II in Germany has been defined as whatever Nazi life was not. A country, anxious to prove to itself and outsiders it had discarded the old ways, simply banned them." Fisher, After the Wall: Germany, the Germans and the Burdens of History (New York: Simon & Schuster, 1995), S. 28.

(54) David Blackbourn, "A thoroughly Modern Masterpiece," S. 192.

(55) Fernand Braudel, zit. nach Gertrude Himmelfarb, "Helden, Schurken, Kammerdiener: Über Perspektiven der Geschichtsschreibung," Merkur: Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 45, H. 7 (Juli 1991), 1037.

(56) Hans-Ulrich Wehler im Interview mit Jens Hacke und Julia Schäfer, in Versäumte Fragen: Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, hrsg. von Rüdiger Hohls und Konrad Jarausch (München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2000), S. 241.

(57) Hanns H. Seidler, "Wissenschaft möglich machen: Vor dieser Aufgabe steht die Verwaltung der autonomen Universität," TUD-intern, 2. Juli 2001, S. 6.

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