Trocknet Hessen die Berufsschulen aus?

Martina Hübscher-Paul

In Stadt und Landkreis: mehr als 7 Berufsschulen!

Wenn die Rede auf die Berufsschulen kommt, fallen unserem Schuldezernent Rafael Reißer in Stadt und Landkreis nur sieben ein. Dabei sind es weitere acht mehr – auch die privaten beruflichen Schulen bekommen öffentliches Geld, und ihre Schülerzahlen wachsen. Erst vor kurzem hat ProGenius einen Neubau am Haardtring bezogen. Diese private Schule der Fachrichtung Wirtschaft führt in Verbindung mit einer beruflichen Qualifizierung zur Fachhochschulreife. Damit konkurriert sie direkt mit der Martin-Behaim-Schule. Auch andere Schulen konkurrieren mit staatlichen Schulen. Wie die Alice-Eleonoren-Schule bildet auch die private Pädagogische Akademie Elisabethenstift in Erziehung, Sozialassistenz und Heilpädagogik aus. Und die Agentur für Arbeit beschickt vor allem die privaten Institute zur Aus- und Fortbildung - weil sie billiger sind. Das hat sicher mit Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt Bezahlung zu tun: keine Beamten, keine öffentlichen Tarife.

Ein erhellender Leserbrief

Und nun deckt ein Leserbrief auf, dass selbst das Land Hessen seine eigenen Berufsschulen austrocknet. Zu "Bereicherung der Bildungslandschaft" im Darmstädter Echo vom 22.09.2015, S. 15: "Ungläubig las ich den o.a. Artikel. Danach erweitert die Pädagogische Akademie Elisabethenstift, ein privater freier Bildungsträger, zum Schuljahr 2016/17 sein Bildungsangebot mit der Neuerrichtung eines Berufliches Gymnasiums (BG) mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Soziales.

Ungläubig war ich deshalb, weil ich mich erinnere, dass die staatliche Heinrich-Emanuel-Merck-Schule (HEMS), der zuständige staatliche Standort für die Beruflichen Gymnasien in Darmstadt, 2011 ihr Angebot im BG um den Schwerpunkt Gesundheit erweitern wollte, und dies in abgestimmter Kooperation mit der benachbarten Martin-Behaim-Schule, in der das Berufsfeld Gesundheit seinen Sitz hat. Im September 2011 (!) beschloss die Gesamtkonferenz der HEMS einstimmig, dieses Angebot ab dem Schuljahr 2012/13 eröffnen zu wollen und stellte einen entsprechenden Antrag an das Hessische Kultusministerium. In den nächsten Monaten meldeten sich bei der HEMS 41 Interessierte für die neue Fachrichtung. Monate später lehnte das Kultusministerium mit Erlass vom 15.03.2012 die geplante Erweiterung mit der Begründung ab, es gebe für diese Fachrichtung keinen Bedarf. Nachzulesen ist das alles im "Darmstädter Echo" vom 02.12.2011 und 31.03.2012." (zitiert mit Genehmigung des Verfassers)

Der Verfasser des Leserbriefes stellt die damalige Verweigerung der nun erfolgten Genehmigung des Beruflichen Gymnasialzweiges durch eine Privatschule gegenüber. Die Pädagogische Akademie des Elisabethenstifts habe nur eine (staatlich eingeräumte) Chance genutzt. Er kritisiert aber auf das Schärfste das Kultusministerium, das "seiner" staatlichen Berufsbildenden Schule (HEMS) ein sinnvolles und perspektivisch immer mehr gebrauchtes Ergänzungsangebot verwehrt. Gleichzeitig werde einem privaten Bildungsträger drei Jahre später ein neues ebensolches Angebot mit "Alleinstellungsmerkmal" genehmigt und damit auch - abgesehen von den Verwaltungskosten - finanziert. Nebenbei bemerkt der Verfasser, die Schülerinnen und Schüler müssten an der Pädagogischen Akademie im Unterschied zur Staatlichen Schule einen "Verwaltungsbeitrag" von 250 bis 300 Euro pro Schulhalbjahr bezahlen.

Es lässt sich hinzufügen, außerdem seien die Lehrenden an privaten Schulen üblicherweise schlechter bezahlt als die staatlich Eingestellten.

Privat ist nicht besser, aber es kostet immer Geld

Die Schuldezernenten von Stadt Darmstadt und dem Landkreis denken darüber nach, wie sie Fachklassen zusammenlegen. Der Plan, die Alice-Eleonoren-Schule nach Dieburg zu verpflanzen, wurde nach heftigen Protesten von Lehrern und Schülern zurückgezogen. Der Bildungsexperte Uwe Faßhauer erhielt von der Stadt Auftrag zu Gutachten. Im letzten schrieb er, in Darmstadt gebe es ja auch künftig ein Ausbildungsangebot für ErzieherInnen in der Pädagogischen Akademie des Elisabethenstifts. Dazu ist zu bemerken: das kostet (für ErzieherInnen je Monat 60 bis 90 Euro, für Lehrmaterial, Ausflüge ca. 30 Euro im Monat, Prüfungen extra).

Aber über Verlagerungen folgender Branchen wird weiter nachgedacht:

  • Textiltechnik & Bekleidung
  • Sozialwirtschaft mit Schwerpunkt Heilerziehungspflege
  • Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft

Dies lässt nur die Folgerung zu, den privaten Instituten werden auf Kosten der staatlichen Berufsschulen die Schüler zugetrieben.

 

Und ganze Branchen fordern Schulgeld für die Ausbildung. So im Gesundheitswesen, obwohl damit kein Pilotengehalt zu erwarten ist, so Physiotherapie und Logopädie. Und seit die Stadt Darmstadt 2011 deren Ausbildung beendet hat, müssen pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) nun nach Frankfurt und monatlich 300 Euro aufbringen!