An Darmstadt führt kein Weg vorbei

Werner Krone


Das Wort "ICE-Strecke" soll hier nicht verwendet werden, denn das ist ein Kampfbegriff der Deutschen Bahn. Damit kämpft sie immer noch gegen eine Trasse, die im Raumordnungsverfahren 2001–2004 als umweltverträglichste Lösung mit den besten betrieblichen (auch schalltechnischen) Voraussetzungen entwickelt wurde. Die Wissenschaftsstadt Darmstadt hat sie in ihrem Flächennutzungsplan 2006 als rechtsverbindliches Planungsziel dargestellt. Auch für den Regionalplan Südhessen 2010 hat sie verbindliche Wirkung. Seither bearbeitet die DB auch unsere jeweiligen Oberbürgermeister, um ihren Traum von Tempo 300 entlang der Autobahn auch in unserer Region zu verwirklichen.

Dabei kommt ein ICE-Sprinter, am Flughafen losgefahren, erst südlich von Pfungstadt auf dieses Tempo. An Darmstadt ist er dann längst vorbeigefahren, und das soll er ja auch, wenn es nach der DB geht.

Aber nicht für ICE-Sprinter wird eine Neubaustrecke gebraucht. Denn der Fernverkehr der Bahn (wie auch der Inlands-Flugverkehr), er stagniert. Erheblichen Zuwachs haben dagegen Regional- und Nahverkehr. Und der Güterverkehr erwartet die Alpentransversale mit neuen Tunneln durch die Alpen. Schon heute bedient jeder dritte Güterzug, der durch Darmstadt fährt, die Verbindung Italien – Benelux. Tendenz: steigend.

Die Weichen werden in Darmstadt gestellt

Schon jetzt aber verlärmen vor allem diese Güterzüge das Tal des Mittelrheins. Dennoch setzt die DB darauf, weiterhin alle Züge über die rechte Rheinstrecke zu schicken. Dabei gibt es durchaus Ausweichmöglichkeiten, u.a. über Gießen – Siegen. Dies setzt voraus, dass die Neubaustrecke möglichst viele Verknüpfungen mit den Bestandsstrecken hat. Die Weichen von Süden ins Rheintal werden heute im Darmstädter Hauptbahnhof gestellt. Diese Weichen aber gibt es an einer Route entlang der Autobahn nicht. Deswegen plant die DB zusätzlich eine neue Abzweigstrecke in Richtung Groß-Gerau. Außerdem soll Darmstadt noch eine Nord- und eine Südanbindung erhalten – statt einer Strecke deren vier. Damit ist entsprechender Landschaftsverbrauch verbunden.

Vor allem aus diesen Gründen sind wir für die im Raumordnungsverfahren geforderte so genannte Variante IV durch den Darmstädter Hauptbahnhof. Dann bestehen auch weniger Möglichkeiten, dass Fernzüge Darmstadt links liegen lassen. Wenn die Strecke bis Mannheim betrachtet wird, hat diese Variante das Minimum an Walddurchschneidungen.

Innerhalb von 19 Minuten in Mannheim

Für die neue Strecke genügen 200 km/h. Dies reicht aus, um von Darmstadt ohne Zwischenhalt innerhalb von 19 Minuten in Mannheim zu sein, mit Halt in Lorsch in 22 Minuten. Dies und die Beibehaltung der fast 40 Inter- und Eurocity machen Darmstadt zum Drehkreuz des Personenverkehrs. Dazu würden dann ein großer Teil der ICE von der Riedbahn Frankfurt-Groß-Gerau-Mannheim dazukommen. Denn der Weg über Darmstadt wäre um 8 Minuten schneller als der bisherige über die Riedbahn. Ein Teil dieser ICE würde in Darmstadt Hbf halten. Insgesamt ein viel besseres Angebot als heute.

Voraussetzung für Darmstadt (übrigens auch für Mannheim) ist, dass bei paralleler Bestandsstrecke das Optimum für Lärmschutz getan wird. In Darmstadt bedeutet das: Die zusammen 4 Gleise werden längs des Haardtringes bis zum Sportplatz der TG Bessungen auf 1,5 km Länge in den vorhandenen Einschnitt gelegt und gedeckelt. Das Grundstück der Main-Neckar-Bahn ist hierfür breit genug! Auch Eberstadt würde quasi nebenher weniger Lärm bekommen. Vorausgesetzt, die Stadt Darmstadt will das und setzt es durch und lässt sich nicht mit dem Argument "Bestandsschutz" abspeisen. Mannheim war seinerzeit bei der Neubaustrecke nach Stuttgart erfolgreich und erfocht den Bau des 5,4 km langen Pfingstbergtunnels im Stadtteil Rheinau.

Noch ein Nebeneffekt: eine neue B3

Ist die Main-Neckar-Bahn im Bereich des Haardtringes abgedeckt, kann auf diesen Deckel eine neue B3 verlegt werden. Im Süden an die Karlsruher Straße, im Norden an die Langener Straße (Umgehung Arheilgen) angeschlossen, ist nur der Abschnitt Zweifalltorweg am Hauptbahnhof eine Etage tiefer zu legen. Ansonsten verläuft die Straße über bisheriges Bahngelände und beim Klärwerk am Bahndamm entlang. Ebenfalls nebenher wird ein neues Konversionsgebiet Starkenburgkaserne erschlossen. Ebenfalls erschlossen wird die neue Südweststadt. Eine Straßenschneise im Westwald ist damit überflüssig. Die Michaelisstraße wird stark entlastet. Der jetzige Haardtring wird verschmälert zur Anliegerstraße. Heidelberger Straße und Donnersbergring verlieren einen Teil des motorisieren Verkehrs, vor allem des Schwerverkehrs.

Wenn, ja wenn zwei Bauvorhaben desselben Bauherrn, der Bundesrepublik Deutschland zusammen geplant und verwirklicht werden.

Anforderungen rund um die Neubaustrecke in Kürze:

  • Entlastung des Mittelrheintals berücksichtigen (1) über Straßburg – Trier – Eifelstrecke und (2) über die Main-Weser-Bahn / Ruhr-Sieg-Strecke
  • Mischnutzung Güter- und Personenverkehr
  • Einbindung der Knoten Darmstadt und Mannheim für den Personenverkehr
  • Einbindung von Darmstadt Hbf und Mannheim Rbf für den Güterverkehr
  • Flankierende Maßnahmen zur Knotenentlastung in Frankfurt und Mannheim
  • Ertüchtigende Maßnahmen an den Bestandsstrecken (vor allem Main-Neckar-Bahn und Riedbahn, auch Friedberg-Gießen)
  • Lärmschutzmaßnahmen in Ortsquerungen auch für die Bestandstrecken
  • Nutzung auch durch regionalen Personenverkehr, z.B. Mannheim/Heidelberg – Bergstraße – Darmstadt – Frankfurt/Main-Flughafen – Rüsselsheim – Wiesbaden
  • Nicht zu vergessen: ein Mediationsverfahren

Grund, sich einzumischen

Im März hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die so genannte Korridorstudie vorgestellt. Aus Sicht von PRO BAHN und VCD ist das Ergebnis höchst unbefriedigend. Aber es ist ein Signal, dass die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim (NBS) auch im Bundesverkehrswegeplan 2015/2016 neuen Schwung bekommt. Grund genug, sich hier einzumischen. Wir haben am 14. Juli im Hessischen Staatsarchiv am Karolinenplatz die Lösung vorgestellt. Die Verkehrsverbände PRO BAHN und Verkehrsclub Deutschland (VCD) haben mit uns diskutiert und finden die Argumente stichhaltig.

Der Oberbürgermeister hat die Argumente der Deutschen Bahn verinnerlicht: Wenn die Wissenschaftsstadt den DB-Bedingungen nicht zustimmt, soll sie ohne Anschluss an die Neubaustrecke bleiben. Diesem Manöver gilt es politisch zu begegnen. Siehe Überschrift!

Da Natur nichts kostet, Lärmschutz aber wohl, rechnen die Finanzexperten jede Maßnahme zu Gunsten von Bevölkerung und Umwelt in Grund und Boden. Aber nicht die Deutsche Bahn bezahlt die Neubaustrecke, sondern Bauherr ist die Bundesrepublik Deutschland.