Darmstadtium

Rainer Keil

Ungeachtet der äußerst angespannten Haushaltslage der Stadt Darmstadt leisten sich Ampelkoalition und CDU dieses irrationale Prestigeprojekt eines Wissenschafts- und Kongresszentrums, das nicht ohne Grund nach dem in Darmstadt entdeckten äußerst kurzlebigen und prinzipiell instabilen Element Darmstadtium benannt wurde.
Dieser laut Eigenwerbung "elitäre Solitär" kommt die Darmstädter in vielfacher Hinsicht teuer zu stehen. Nicht nur die exorbitanten Baukosten von über 80 Millionen Euro müssen von ihnen durch den Verkauf städtischen Eigentums und die Aufnahme neuer Schulden aufgebracht werden, sondern auch das bis (soweit bis heute bekannte) jährliche Defizit von 3,1 Millionen Euro.
Diese Summe soll nun weitgehend von denjenigen bezahlt werden, die wenig bis gar nicht vom Darmstadtium profitieren werden, weil sie sich einen Besuch dieses elitären Bauwerkes nicht werden leisten können. Darüber hinaus erfolgt die Folgefinanzierung dieses Prestigeobjektes auf Kosten der vielen kleinen sozialen und kulturellen Projekte, deren bisherige Zuschüsse als freiwillige Leistungen nun von der Stadt gestrichen wurden.

Repräsentativ?

Für einige Diskussionen haben die zukünftigen Kosten der Sitzungen des Stadtparlamentes im Darmstadtium gesorgt. Runde 10.000 Euro wird eine solche Sitzung im "repräsentativsten Gebäude" der Stadt (Zitat Hanno Benz, Fraktionsvorsitzender der SPD) zukünftig kosten. Und natürlich kann die gewählte Vertretung der Bürgerschaft auch nur dort angemessen tagen, wie der Sozialdemokrat weiter ausführt.
Hier offenbart sich zweierlei. Erstens ein Hang zum Größenwahn der eines Großherzogs würdig wäre. Während man Druck auf Erwerbslose und abhängig Beschäftigte ausübt mit der Aufforderung den Gürtel enger zu schnallen und ALG-II-Empfänger mehr fordert als fördert brauchen die "Vertreter der Bürgerschaft" natürlich angemessene Räumlichkeiten. Wenn schon kein eigenes Schloss, dann immerhin in unmittelbarer Nähe desselben ein vollwertiger Ersatzpalast. Koste es, was es wolle. Zweitens kann man ein Demokratieverständnis beobachten, dass besser zu einer konstitutionellen Monarchie passen würde. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen alle fünf Jahre ihre Stimme abgeben, werden über zentrale Vorhaben weder ausreichend informiert noch gefragt und dürfen dann im Darmstadtium ihrer gewählten Vertretung huldigen. Oder wie Büchner schon schrieb: "Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen."

Bauernopfer Pfister

Nach einer Reihe von Pleiten und Pannen wurde der Geschäftsführer des Darmstadtium, Thomas Pfister, jetzt vom OB persönlich in die Wüste geschickt. "Wir sind aber der Auffassung, dass auch die Menschen aus der Stadt und der Rhein-Main-Region sich in dem Zentrum wiederfinden müssen", sagte Oberbürgermeister Hoffmann. "Der Karnevalsverein muss dort genauso zu Hause sein wie eine internationale IT-Tagung. Herr Pfister hatte eine andere Auffassung."
Es ist schon interessant dass diese unterschiedlichen Auffassungen erst jetzt zum Tragen kommen. Wer hat Herrn Pfister eingestellt? Wurde damals nicht über Konzepte und Strategien geredet?
Um Herrn Pfister wird man sich keine Sorgen machen müssen - sein Bauernopfer wird er sich sicherlich fürstlich entlohnen lassen. Sein Nachfolger wird vor dem gleichen Problem stehen. Wie kann es gelingen zwischen Milva und Udo Jürgens dem Anspruch eines "Wissenschafts- und Kongresszentrums" (als ein solches war es ja mal geplant) gerecht zu werden. Und wie ein Defizit überschaubar zu halten. Jedoch gibt es keine vergleichbare Einrichtung bundesweit, die schwarze Zahlen einfährt. Und er wird feststellen dass dies eben mit Karnevalsvereinen auch nicht geht.

Unsere Meinung

Es bleibt dabei: Mit der Entscheidung dieses Monstrum zu bauen haben die "Vertreter der Bürgerschaft" ihrem "dankbaren Volk" einen Bärendienst erwiesen. Vielleicht sollte man den Langen Lui drehen. So blickt der ehemalige Großherzog nicht nach Rheinhessen, sondern übers Schloss auf die "Schepp Schachtel" seiner Nachfolger. Aber vielleicht geschah dies ja schon und er wandte sich voll Grausen wieder ab von dem, was er da erblicken musste.