Die Stadt als Arbeitgeberin: Bestenauslese statt Integration?

Martina Hübscher-Paul

Schlechte Chancen für Schwerbehinderte auf eine Einstellung bei der Stadt Darmstadt und ihren Eigenbetrieben.

Bis Mitte 2014 haben sich die Stadt und ihre Eigenbetriebe in Bewerbungsverfahren nicht an die selbstgesetzten Regeln für Schwerbehinderte gehalten: Bei Stellenausschreibungen unterblieb der Hinweis, dass "schwerbehinderte Menschen bei entsprechender Eignung bevorzugt eingestellt werden". So ist es in der Integrationsvereinbarung zwischen Stadt und Personalrat festgelegt. Darauf wurden wir von einem Betroffenen hingewiesen, der darüber hinaus bei seinem Bewerbungsgespräch Fragwürdiges erlebt hatte. Bis heute haben nicht alle Eigenbetriebe ihre Ausschreibungstexte angepasst, wie ein Blick auf die Homepage der Stadt am 17.5.2015 zeigte.

Tatsächlich ist nach dem angewendeten Stellenbesetzungsverfahren eine bevorzugte Einstellung von Schwerbehinderten oder anderen gesellschaftlich benachteiligten Gruppen auch kaum möglich. Denn die Eignung wird mit einem formalen System mit etwa 150 Punkten ermittelt, und die Bevorzugung kommt nur bei exakt gleicher Punktezahl zum Tragen. Das passiert natürlich nur sehr selten. In seiner Antwort auf unsere kleine Anfrage bestätigte OB Partsch, dass die Auswahl ausschließlich nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung im "System der Bestenauslese" erfolge. Er begründet dies mit dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG), demzufolge eine solche Bevorzugung als Diskriminierung verboten sei. Diese Begründung ist jedoch nicht stichhaltig, denn §5 dieses Gesetzes lässt ausdrücklich positive Maßnahmen zu.

Diese unambitionierte Praxis wirft die Frage auf, wie es insgesamt um die Chancen von Schwerbehinderten auf eine Einstellung bei der Stadt Darmstadt steht. Aus den vielzitierten Schwerbehindertenquoten lässt sich dies nicht ablesen. Diese beziehen sich auf den Personalbestand und enthalten somit auch diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Behinderung erst im Laufe ihres Berufslebens entstanden ist. Die Antwort des Oberbürgermeisters auf eine entsprechende Kleine Anfrage unserer Fraktion hat die Vermutung leider bestätigt: 2013 befanden sich unter den 157 Neueinstellungen nur vier Menschen mit schwerer Behinderung, das sind gerade einmal 2,5%. Im Jahr 2012 waren es sogar nur 1,3%. Ein Jahr zuvor war noch ein Anteil von 6% erreicht worden. Der Anteil erwerbsfähiger schwerbehinderter Menschen an der gesamten erwerbsfähigen Bevölkerung liegt bei etwa 6%, ebenso deren Anteil an den Erwerbslosen. Öffentliche Arbeitgeber sind überdurchschnittlich gefordert, die Beschäftigung von Schwerbehinderten zu fördern. Daher müsste die Stadt diesen Anteil bei ihren Einstellungen eigentlich überschreiten und nicht so deutlich verfehlen.

Schwerbehinderte haben also bei der Stadt Darmstadt deutlich schlechtere Chancen auf eine Einstellung als Menschen ohne Handicap. Um dies zu ändern, braucht es sicherlich mehr als die Überarbeitung von Ausschreibungstexten. Die Personalverantwortlichen müssen die Auswahlverfahren und vielleicht auch ihre Grundeinstellung zu überdenken. Daher haben wir durch einen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung den Magistrat aufgefordert, die Ursachen für die niedrige Zahl von Neueinstellungen schwerbehinderter Menschen zu analysieren und Maßnahmen zur Verbesserung der Chancen schwerbehinderter Bewerberinnen und Bewerber abzuleiten. Erfreulicherweise wurde dieser Antrag einstimmig angenommen. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Prüfungen, die im Herbst vorgelegt werden müssen.

Unsere Meinung

Das Stellenbesetzungsverfahren sollte so abgeändert werden, dass die in der Integrationsrichtlinie festgehaltene Bevorzugung von schwerbehinderten Menschen (und anderer benachteiligter Personengruppen) im angemessenem Rahmen möglich wird. Der Begriff der "gleichen Eignung" könnte durch eine Punktzahl innerhalb eines festgelegten "Korridors" definiert werden. Oder schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber bekommen Bonuspunkte, um ihre Benachteiligung auszugleichen.