Halbe Wahrheit. Wer blickt durch?

Werner Krone

Die Stadtverordneten haben sich mit dem Straßenzustand befasst. Nun sollen die Straßen in der Stadt in den nächsten 2 Jahren jährlich für 4,7 Millionen € erneuert werden. Dies betrifft aber nur die schlimmsten Stellen, den "kurzfristigen Bedarf".
Die Stadt hat nach Angaben des Magistrats ein jährliches Erhaltungs-Soll für Straßen in Höhe von 2 Mio €, wendet in den letzten Jahren aber nur zwischen 0,5 bis 1,2 Mio € auf. Der Beitrag von Bund und Land Hessen für Bundes- und Landesstraßen beträgt lächerliche 65.000 €, weit unter den tatsächlichen Kosten. Nicht einmal die Stadtverordneten scheinen durchzublicken. Sie sehen nur, dass die Straßen immer schlechter werden und beschäftigen sich auch lieber mit neuen Projekten wie der Nordost-"Umgehung". Die würde jedoch das Erhaltungs-Soll kräftig in die Höhe treiben. Was aber ist das Erhaltungs-Soll?

Zahlenspiele

Wie jedes von Menschen gefertigtes Bauwerk haben auch Straßen eine gewisse "Standzeit". Danach ist das Bauwerk zu erneuern. Dies auf die Lebensdauer, die "Standzeit" umgelegt, zuzüglich Unterhaltung wie Fräsen, mal eine neue Deckschicht, Fugenverfüllung, Folienauftrag usw. ergibt Jahreskosten. Sie entsprechen der anzusetzenden Abschreibung. Nun hat die Stadt von ihren 122 km² Gesamtfläche etwa 4 km² als Straßen, Wege und Plätze befestigt. Auf Straßenlänge umgerechnet, sind das 375 km von durchschnittlich 10,8 m Breite. Die 105 km Hauptstraßen sind nach 40 Jahren für 120€/m² zu erneuern, 270 km Nebenstraßen und Gehwege nach 80 Jahren für durchschnittlich 100€/m². Die ergibt Jahreskosten von 3,00€/m² bzw. 1,25€/m². Hieraus ergibt sich für die Stadt ein jährlicher Bedarf von mindestens (3,00 · 105 + 1,25 · 270)· 10,8 · 1000 = 7,05 Mio €!
Zum Vergleich sei der Neuwert aller Straßen- und Wegebefestigungen grob geschätzt auf 4 Mio m² · 85€ = 340 Mio €. Gemäß einem Erfahrungswert sind hiervon 2,0% als Untergrenze der Erhaltung anzusetzen. Hiermit errechnen sich sogar 8,5 Mio € im Jahr.
Dem dürften in etwa die Abschreibungen des neuen "doppischen" Haushaltes entsprechen. Die Erhaltungskosten betragen somit ein Mehrfaches des von der Stadt angegebenen Solls von 2 Mio €. Diese Summe ist nicht nur mal einige Jahre aufzuwenden, sondern regelmäßig auf alle Zeiten!
Die vom Magistrat genannten Zahlen sind also nicht die halbe Wahrheit, sondern nicht einmal ein Drittel der Wahrheit.

Die "Lektrisch" sponsert Straßen

Die Stadt lebt, was Straßen und Kanäle angeht, seit Jahrzehnten von der Substanz. Das geht, solange diese neu sind. Aber schon seit Jahren wird gemogelt. Rhein- und Neckarstraße, die Vorplätze von Hauptbahnhof und Schloss, erst letztes Jahr der Mathildenplatz, zur Zeit die Frankfurter Landstraße werden als Maßnahmen des Öffentlichen Nahverkehrs vom Bund gefördert. Praktischerweise betrifft das auch die Straßenflächen. Dies dürfte ein Hauptgrund sein, warum der eigene Bahnkörper unbedingt dezimeterweise verbreitert werden musste. So ist das nun auch für die Bismarckstraße geplant. Pech nur, dass Darmstadt nicht Straßenbahnen in allen Hauptstraßen hat. Immerhin sponsert der öffentliche Nahverkehr mit Fördergeldern so den Straßenbau.

Unsere Meinung

Wozu also neue Straßenbauten wie die Nordost-"Umgehung" (städtischer Anteil 41 - 56 Mio €), wenn die Stadt nicht einmal die Reparaturen der bestehenden bezahlen kann?