Keine strategische Bedeutung

Werner Krone

Am 6. Oktober 1894 wurde der Bauverein für Arbeiterwohnungen in Darmstadt gegründet. Der wachsenden Bevölkerung preiswerten Wohnraum zu schaffen war Ziel des Vereins. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde vieles wieder aufgebaut, bis 1958 entstanden 5000 neue Wohnungen. Möglich war dies durch die Mehrheitsbeteiligung der Stadt Darmstadt. Eigentümer, die nur an Rendite denken, hätten solche Leistungen niemals vollbringen können.
Die Stadt Darmstadt hat sich jetzt mit dem Verkauf städtischer Aktien an der Bauverein AG von diesem Grundsatz verabschiedet. Mit der Neuordnung der Stadtwirtschaft im Jahre 2005 wurde die Bauverein AG in die HEAG-Gruppe integriert. Danach hielt die Stadt noch 10 Prozent der Bauverein-Aktien. Im Dezember wurden jetzt weitere 4,99 Prozent der Aktien verkauft. In der entsprechenden Magistratsvorlage heißt es: "Nachdem der Bauverein gesellschaftsrechtlich in die HEAG-Gruppe integriert ist, kommt der direkten Beteiligung der Stadt am Bauverein keine besondere strategische Bedeutung mehr zu. Andererseits könnte mit dem Erlös aus einem Verkauf zumindest eines Teils dieser Beteiligung ein signifikanter Beitrag zur Finanzierung des Haushalts der Stadt geleistet werden."
Dass nicht alles komplett verkauft wurde, hat rein grunderwerbssteuerliche Gründe und gilt nur so lange, wie eine teilweise Personenidentität zwischen den Vorständen von HEAG und HSE besteht.

Keine strategische Bedeutung?

Wenn der Magistrat lapidar feststellt, die Stadt habe an einer Beteiligung an der Bauverein AG kein strategisches Interesse mehr, sollte dies einmal hinterfragt werden. Heißt dies, die Stadt sieht im Bau preiswerter Wohnungen, am sozialen Wohnungsbau keine Notwendigkeit mehr?
Gibt es in Darmstadt somit keinen Bedarf mehr an billigen, preiswerten Wohnungen? Oder möchte die Stadt, die ja bekanntlich einwohnermäßig weiter wächst, dass nur noch für Besserverdienende, Führungskräfte und ihre Familien in Darmstadt Wohnraum entsteht?
Die Wartelisten für billigen Wohnraum in Darmstadt sind lang und werden in Zukunft noch länger werden. Und die soziale Schere klafft immer weiter auseinander. Um die Mindest-Wohnungsversorgung für einkommensschwache Haushalte in Darmstadt zu sichern müssten bis 2010 jährlich 90 Wohnungen (durch Neubau oder Erwerb der Belegungsrechte) erworben werden, so das Wohnraumversorgungskonzept der Stadt aus dem Jahre 2004. Hat sich daran plötzlich etwas geändert? Es ist eher eine Verschärfung dieses Trends zu vermuten - dank Hartz IV und anderer Segnungen.

Verkauf der Bauverein-Anteile

Die Stadt hat sich mit dem Verkauf der Bauverein- Anteile einzig eine lediglich kurzfristige Haushaltsentlastung verschafft. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Verkauf an eine 100-prozentige Tochter der Bauverein AG erfolgte. Der Erlös, rund 15 Millionen Euro, wird alleine für eventuelle Tunnellösungen bei der geplanten Nordostumgehung wieder ausgegeben werden.

Unsere Meinung

Um den Haushalt "signifikant" oder gar nachhaltig zu entlasten, wird es daher nicht reichen. Schlimmer noch: Die Stadt beraubt sich weiter ihres Einflusses in zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge und vernachlässigt ihre soziale Verantwortung. "Schlaue Stadtväter behalten ihre Wohnungsunternehmen" schreibt der Vorsitzende des Deutschen Mieterbundes, Franz- Georg Rips, in der jüngsten Ausgabe der "Mieter- Zeitung". Recht hat er. Worin besteht also das strategische Interesse, sich jedes Einflusses zu berauben?