Neubewertung städtischer Ehrengräber

Rainer Keil

Was lange währt, wird endlich gut

Ein im Frühjahr 2012 eingesetzter Fachbeirat zur Neubewertung bestehender städtischer Ehrengräber legte jetzt eine Dokumentation vor. Dem Fachbeirat unter Vorsitz von Oberbürgermeister Jochen Partsch gehörten neben dem Leiter des Stadtarchivs und dem Abteilungsleiter der Friedhofsverwaltung drei externe HistorikerInnen an: Dr. Annegret Holtmann-Mares, TU Darmstadt; Andreas Göller, Leiter des Archivs der TU Darmstadt und Dr. Rainer Maaß, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. Unterstützt wurde der Fachbeirat durch den Historiker Dr. Holger Köhn, Büro für Erinnerungskultur, der mit der Erstellung der wissenschaftlich fundierten Kurzbiografien beauftragt war.

Der Fachbeirat untersuchte und bewertete die vorhandene Ehrengräberliste: 78 Namen mit 56 Grabstätten auf dem Alten Friedhof, 13 auf dem Waldfriedhof sowie einen auf dem Bessunger Friedhof. Es wurden zu allen Personen biographische Informationen recherchiert und bewertet. Problematisch war es, laut Bericht, zu ermitteln, unter welchen Umständen manche Personen auf die Ehrengräberliste gelangt waren. Nach wie vor gibt es kein geregeltes Verfahren, deshalb schlägt der Beirat auch eine Überarbeitung des entsprechenden Paragraphen der Friedhofssatzung vor.

In sieben Fällen wurde eine Streichung von der Ehrengrabliste empfohlen: Der Komponist Hans Simon, wegen einer aktiven und das System stützenden Rolle im Nationalsozialismus, Oskar von Hutier, Ludwig Kattrein und Otto Liman von Sanders wegen ausschließlich militärischer Erfolge als Begründung der zugesprochenen Ehrung. Carl du Bos du Thil, Christian Prinz und Emanuel Schmuck aufgrund der in den Biographien dargelegten Gründe. Mit Ausnahme des Grabes von Hans Simon sollen alle Gräber als historisch bedeutsame Gräber erhalten bleiben.

Kritisch zu hinterfragen wäre allerdings, ob eine Aberkennung eines Ehrengrabes wegen "ausschließlich militärischer Erfolge" eine sinnvolle Entscheidung war. Zumindest im Falle Otto Liman von Sanders ist das eher fraglich. Denn wo er nur konnte, hat Liman von Sanders dem Völkermord an den Armeniern Einhalt geboten, mitunter unter Androhung von Waffengewalt. Im Falle Oskar von Hutier ist die Aberkennung wegen "ausschließlich militärischer Erfolge" nicht ausreichend. Denn Hutier war Präsident des Deutschen Offiziersbunds. Und als solcher paktierte er mit den Nazis in der Harzburger Front und trug damit bei, Hitler 1933 die Macht zu übertragen.

Warum so lange?

Unsere Fraktion hat sich seit Jahren um eine Neubewertung der städtischen Ehrengräber bemüht - mit Anträgen, Anfragen und öffentlichen Initiativen. Die vorliegende Dokumentation ist daher ein politischer Erfolg unserer Fraktion und aller Antifaschisten. Allerdings stimmt es nachdenklich, dass es 12 Jahre gedauert hat, bis dieses Ergebnis zustande gekommen ist.

2003 nahm unsere Fraktion - damals noch "PDS-DKP/Offene Liste" - die Antwort des damaligen Bürgermeisters Horst Knechtel (SPD) auf unsere Anfrage zum Anlass, Akteneinsicht zu verlangen. Knechtel hatte schriftlich mitgeteilt, dass ein "Historiker vor einiger Zeit im Grünflächenamt tätig gewesen ist und als Teil seiner Aufgabe die Ehrengräber des Alten Friedhofs gesichtet hat." Die Akteneinsicht förderte zu Tage, dass die Forschungsergebnisse von besagtem Historiker, dem Deutsch-Kanadier Fred Kautz, den Schluss zulassen, dass nicht nur "ehrenhafte" Grabstätten von der Stadt gepflegt werden.

Die Bedingungen, unter denen der Historiker arbeiten musste, spotteten jeder Beschreibung. Von Dezember 1999 bis April 2000 arbeitete er im Rahmen der Beschäftigungsförderung "Arbeit statt Sozialhilfe" für eine Mehraufwandsentschädigung von 3 DM die Stunde. Seine Korrenspondenz wurde misstrauisch beäugt und musste vom jeweiligen Vorgesetzten gegengezeichnet werden, manche Briefe wurden trotz Zusage niemals abgeschickt. Obwohl man ihm eine feste Stelle in Aussicht stellte, wurde sein befristeter Arbeitsvertrag als "Verwaltungshilfskraft" nicht mehr verlängert.

Unsere Fraktion verlangte schon 2003 in einem Antrag die Erstellung einer Denkmaltopographie, eine Neufassung der Friedhofssatzung und eine Neubewertung der städtischen Ehrengräber. Alle Anträge wurden ausnahmslos abgelehnt, alle Versuche, den Historiker Kautz zu rehabilitieren und seine Arbeit fortsetzen zu lassen, waren vergebens. Die Veröffentlichung eines Beitrages zum arbeitsrechtlichen Umgang mit Kautz auf unserer Internetseite wurde uns untersagt und mit Klage gedroht. Es wird wohl immer ein Geheimnis bleiben, warum man Fred Kautz nicht in den 2012 benannten Fachbeirat berufen hat. Seine Fachkenntnis und seinen Spürsinn hat er bei unseren Friedhofsführungen und in seiner Ergänzung zum Stadtlexikon mehrfach unter Beweis gestellt. Und schließlich hat er als erster auf Simons Aktivitäten als Mitglied des Kampfbunds für deutsche Kultur und der NSDAP hingewiesen und die Aufhebung von dessen städtischem Ehrengrab auf dem Alten Friedhof verlangt.

Unsere Meinung

Jetzt - 12 Jahre und drei Oberbürgermeister später - endlich ein Ergebnis. Was lange währt, wird eben nicht immer gut. Aber ist es wenigstens einigermaßen befriedigend.