Westwald adé?

Norbert Schneider

Die Waldkolonie ist westlich der Dornheimer Brücke durch die Ansiedlung von Bahnarbeitern entstanden. Hinzu kam die "Frontkämpfrsiedlung" an der Michaelisstraße. Mein Großvater wohnte zuerst in der Bahnsiedlung am Dornheimer Weg und arbeitete als Lokschlosser. Lange ist es her, da nannte sich Darmstadt stolz "die Stadt im Walde". Die Technische Universität und der Jugendstil folgten, Darmstadt wurde nun die "Stadt der Künste" genannt.
Heute nennt sich Darmstadt "Wissenschaftsstadt" und feiert sich als Tor zum Weltraum. Das Wissen um die Erhaltung unserer biologischen Umwelt zum Nutzen vieler Generationen ist dabei aber offenbar auf der Strecke geblieben. Eines der schlimmsten Beispiele für Naturzerstörung durch Gedankenlosigkeit, Ignoranz, willfährige Industriepolitik und falscher Fortschrittsgläubigkeit kann jetzt besichtigt werden, westlich des Hauptbahnhofes bis Weiterstadt und Büttelborn.
Der Wald ist in riesigen Flächen tot. Ein Bild, als hätten die verheerenden Bombenangriffe auf Darmstadt viele Jahrzehnte später den Westwald getroffen. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit konnten es sich politisch Verantwortliche erlauben Abwässer und Kanalüberlauf in dem schon arg gebeutelten Wald laufen zu lassen. Ich habe das als Heranwachsender erfahren müssen. Auf der Südseite der Rheinstraße lief das Abwasser hinter den alten Schießständen einfach in den Wald. In der Verlängerung des Dornheimer Weges roch es nach Fäkalien und Kot, Toilettenpapier waren nicht zu übersehen. Hinter dem Überlauf am Dornheimer Weg hing es, besonders nach starken Regenfällen, überall in den Büschen. Nach vielen Jahrzehnten sollte sich das ändern. Leider zu spät für den Wald.
Ich habe die Zeit genossen, als die einzige Autobahn (A5) noch zu Fuß überquert werden konnte. Da war der Westwald noch ein Paradies für uns Kinder und die dort lebenden Kinder.
Nach dem Krieg wurde über Jahrzehnte für die aufstrebende Industrie immer mehr Wasser aus dem Boden gepumpt, der Grundwasserbestand sank rapide ab, die Wurzeln der Bäume standen im Trockenen.
Westlich der A5 gab es trotz des Sandbodens einen natürlichen Teich mit Fischbesatz. Der wurde unter dem Ausbau des Darmstädter Kreuzes und der zweiten Autobahn begraben. Die zunehmenden Luftschadstoffe haben dem verdurstenden Wald den Rest gegeben.
Heute wird von politisch Verantwortlichen immer gerne auf den ach so schädigenden Schädlingsbefall verwiesen. Ich weiß, der Westwald hat in der Vergangenheit schon sehr starken Maikäferfraß überlebt. Nur war damals sein Immunsystem noch intakt. Die Käfer fielen in Massen von den Bäumen, und die Eier der freilaufenden Hühner meiner Großmutter schmeckten ganz eklig nach Maikäfer.
Mit aggressivem Abwasser, Grundwasserentzug und Betonierung war die Folter des Westwaldes noch nicht beendet. Eine breite Straße am Westrand der Waldkolonie nach Süden über die Rheinstraße war geplant. Das hat der Widerstand verdienstvoller Waldkolonisten aber verhindert.
Der Wald wurde aber weiter durch Straßen durchschnitten, für den Durchgangsverkehr ausgebaut und für den Gebäudebau (ESOC und Bosch) geopfert. Ausgerechnet ein "Grüner" wollte dann als Stadtbaurat auf der ehemals begonnenen Altroute die Weststadt (Waldkolonie) "mit einem kühnen vierspurigen Bogen" in der schmalen Lücke zwischen Kolonie und Waldfriedhof beglücken. Der feine Herr wohnte nicht in der "Weststadt" und hatte sich wohl gedacht, wenn der Wald schon stirbt kann man auch weiter betonieren, Feinstaub gratis dazu.
Teilweise ist der Westwald für Erholungsuchende und Freizeitsportler wegen Lebensgefahr gesperrt. Es wird großflächig abgeholzt. Vielleicht bleiben noch ein paar wenige Bäume stehen, die aber in den Kronen schon schwere Schäden aufweisen.
Es sind jetzt schon große Luftschneisen von den Autobahnen bis zur Waldkolonie entstanden. Bei Südwest-, West- oder Nordwest-Wind werden Lärm und Schadstoffe in die Wohngebiete getragen.
Das ganze ist ein Desaster! Während im feinen Osten Darmstadts biologische Landwirtschaft (ich finde das sehr gut!) stattfinden soll, kann Prärie und Wüste nach Darmstadt-West zurückkehren. Vielleicht kann ein wiederaufgeforsteter Westwald unseren Kindern ein gesundes Darmstadt näher bringen und ihre Lebensqualität wieder verbessern. Denn Kindern in der neuen Weststadt sollte die Stadt Darmstadt bis dahin wenigstens einen Kindergarten spendieren. Vielleicht finden deren Kinder wieder ihr Paradies im aufgeforsteten Westwald.

Kleine Anfrage Westwald

Mit einer kleinen Anfrage versuchte unsere Fraktion Licht in das Dunkel des Westwaldes zu bringen. Bei Redaktionsschluss lag noch keine Reaktion vor.
Mit der Magistratsvorlage 0244 vom 30.01.2002 wurde von der Stadtverordnetenversammlung das weitere Vorgehen zum Thema Darmstädter Westwald beschlossen. Der Vorlage ist auch die Aufteilung der Gesamtentschädigung durch die Hauptverursacher der Grundwasserentnahme zu entnehmen. Die Magistratsvorlagen 0038/06.01.2003, 0449/24.06.2003 und 0089/26.01.2004 folgten.

  1. Das Land Hessen erhielt ca. 4,2 Millionen Euro (FoA Darmstadt: 3,8 Mio. Euro; FoA Groß-Gerau 405.000 Euro) der Entschädigung. Ist bekannt wie diese Mittel eingesetzt wurden? Wurden sie, wie schriftlich fixiert, dem Westwald direkt zukommen zu lassen?
  2. Wie ist der Stand der in der Magistratsvorlage 0449 angesprochenen "Baumaßnahme"?
  3. In der Magistratsvorlage 0089/26.01.2004 wurde beschlossen Mittel in Höhe von 380.000 Euro nach Vertragsabschluss "voraussichtlich im April 2004" freizugeben. Wie ist der aktuelle Stand?
  4. Der momentane Zustand des Westwaldes ist nach wie vor katastrophal. Aufforstungen gab es keine. Wie hat sich der Grundwasserspiegel entwickelt und wann ist mit einer Aufforstung zu rechnen?
  5. Welche Maßnahmen plant die Stadt Darmstadt zur Verbesserung der Situation des Darmstädter Westwaldes?
  6. Welche Auswirkungen würde die Fortsetzung der B3-Umgehung auf den Westwald haben?